nisse, die die Form ausmachen unter der uns die bewegten Massen erscheinen, mit einem Worte, eine bestimmte Gestalt dieses unseres Sonnensystems, welche als zufällig in so fern erscheint, als daneben noch unzählige andere Gestalten möglich und vielleicht auch für andere Sonnenmittelpuncte wirklich sind. Diese letzteren Betrachtungen geben uns die Lehre von der Gestaltung oder die Morphologie. -- Gehen wir nun vom Sonnensystem zu den Verhältnissen unserer Erde selbst über so wird die Hylologie zur Chemie, die Phoronomie zur Phy- sik, oder auf organische Körper angewendet zur Physiologie und die Morphologie liefert die characteristischen Lehren für Mineralogie, Zoologie und Botanik. --
Die einfachste Pflanze, welche wir untersuchen, zeigt uns so gut wie jenes Sonnensystem im Großen eine Reihe von Thatsachen, welche sich vollständig unter jene drei Hauptabtheilungen der Naturwissen- schaft vertheilen lassen. -- Die Pflanze, chemisch zerlegt, ergiebt sich als zusammengesetzt aus größern oder geringern Mengen verschiedener Stoffe, deren Eigenschaften, so weit wir sie bereits kennen, aufs Engste mit der Eigenthümlichkeit der ganzen Pflanze, verbunden sind (Stoff- lehre). Aber bei genauerer Aufmerksamkeit finden wir bald, daß diese Stoffe niemals in Ruhe sind, daß Stoffe einerseits in die Pflanze eintreten, andererseits dieselbe verlassen, in der Pflanze selbst aber in einer beständigen Bewegung von einem Ort zum andern, in bestän- diger Verbindung und Trennung begriffen sind (Bewegungslehre oder Physiologie der Pflanze). Haben wir damit nun das ganze Wesen der Pflanze erschöpft? Keineswegs, und zwar so fern sind wir davon, daß es denkbar wäre, alle jene Stoffe, alle jene Bewegungen soweit sie auf chemische Verbindungen und Trennungen abzielen in den Retorten und Tiegeln unserer Laboratorien nachzumachen, ohne daß dabei eine Erscheinung hervorträte, welche auch nur im Allerentfern- testen an eine Pflanze erinnerte. Aus Zucker, Gummi oder Pflanzen- gallerte bildet sich Zellstoff, aber Zellstoff ist noch keine Zelle. Erst die Zellenbildung, also die Gestaltung, macht den Stoff zum pflanz- lichen Organismus. Aus gleichartigen Zellen sind sämmtliche Pflanzen
niſſe, die die Form ausmachen unter der uns die bewegten Maſſen erſcheinen, mit einem Worte, eine beſtimmte Geſtalt dieſes unſeres Sonnenſyſtems, welche als zufällig in ſo fern erſcheint, als daneben noch unzählige andere Geſtalten möglich und vielleicht auch für andere Sonnenmittelpuncte wirklich ſind. Dieſe letzteren Betrachtungen geben uns die Lehre von der Geſtaltung oder die Morphologie. — Gehen wir nun vom Sonnenſyſtem zu den Verhältniſſen unſerer Erde ſelbſt über ſo wird die Hylologie zur Chemie, die Phoronomie zur Phy- ſik, oder auf organiſche Körper angewendet zur Phyſiologie und die Morphologie liefert die characteriſtiſchen Lehren für Mineralogie, Zoologie und Botanik. —
Die einfachſte Pflanze, welche wir unterſuchen, zeigt uns ſo gut wie jenes Sonnenſyſtem im Großen eine Reihe von Thatſachen, welche ſich vollſtändig unter jene drei Hauptabtheilungen der Naturwiſſen- ſchaft vertheilen laſſen. — Die Pflanze, chemiſch zerlegt, ergiebt ſich als zuſammengeſetzt aus größern oder geringern Mengen verſchiedener Stoffe, deren Eigenſchaften, ſo weit wir ſie bereits kennen, aufs Engſte mit der Eigenthümlichkeit der ganzen Pflanze, verbunden ſind (Stoff- lehre). Aber bei genauerer Aufmerkſamkeit finden wir bald, daß dieſe Stoffe niemals in Ruhe ſind, daß Stoffe einerſeits in die Pflanze eintreten, andererſeits dieſelbe verlaſſen, in der Pflanze ſelbſt aber in einer beſtändigen Bewegung von einem Ort zum andern, in beſtän- diger Verbindung und Trennung begriffen ſind (Bewegungslehre oder Phyſiologie der Pflanze). Haben wir damit nun das ganze Weſen der Pflanze erſchöpft? Keineswegs, und zwar ſo fern ſind wir davon, daß es denkbar wäre, alle jene Stoffe, alle jene Bewegungen ſoweit ſie auf chemiſche Verbindungen und Trennungen abzielen in den Retorten und Tiegeln unſerer Laboratorien nachzumachen, ohne daß dabei eine Erſcheinung hervorträte, welche auch nur im Allerentfern- teſten an eine Pflanze erinnerte. Aus Zucker, Gummi oder Pflanzen- gallerte bildet ſich Zellſtoff, aber Zellſtoff iſt noch keine Zelle. Erſt die Zellenbildung, alſo die Geſtaltung, macht den Stoff zum pflanz- lichen Organismus. Aus gleichartigen Zellen ſind ſämmtliche Pflanzen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0095"n="79"/>
niſſe, die die Form ausmachen unter der uns die bewegten Maſſen<lb/>
erſcheinen, mit einem Worte, eine beſtimmte Geſtalt dieſes unſeres<lb/>
Sonnenſyſtems, welche als zufällig in ſo fern erſcheint, als daneben<lb/>
noch unzählige andere Geſtalten möglich und vielleicht auch für andere<lb/>
Sonnenmittelpuncte wirklich ſind. Dieſe letzteren Betrachtungen geben<lb/>
uns die Lehre von der Geſtaltung oder die <hirendition="#g">Morphologie</hi>. — Gehen<lb/>
wir nun vom Sonnenſyſtem zu den Verhältniſſen unſerer Erde ſelbſt<lb/>
über ſo wird die Hylologie zur <hirendition="#g">Chemie</hi>, die Phoronomie zur <hirendition="#g">Phy-<lb/>ſik</hi>, oder auf organiſche Körper angewendet zur <hirendition="#g">Phyſiologie</hi> und die<lb/>
Morphologie liefert die characteriſtiſchen Lehren für <hirendition="#g">Mineralogie,<lb/>
Zoologie</hi> und <hirendition="#g">Botanik</hi>. —</p><lb/><p>Die einfachſte Pflanze, welche wir unterſuchen, zeigt uns ſo gut<lb/>
wie jenes Sonnenſyſtem im Großen eine Reihe von Thatſachen, welche<lb/>ſich vollſtändig unter jene drei Hauptabtheilungen der Naturwiſſen-<lb/>ſchaft vertheilen laſſen. — Die Pflanze, chemiſch zerlegt, ergiebt ſich<lb/>
als zuſammengeſetzt aus größern oder geringern Mengen verſchiedener<lb/>
Stoffe, deren Eigenſchaften, ſo weit wir ſie bereits kennen, aufs Engſte<lb/>
mit der Eigenthümlichkeit der ganzen Pflanze, verbunden ſind (Stoff-<lb/>
lehre). Aber bei genauerer Aufmerkſamkeit finden wir bald, daß dieſe<lb/>
Stoffe niemals in Ruhe ſind, daß Stoffe einerſeits in die Pflanze<lb/>
eintreten, andererſeits dieſelbe verlaſſen, in der Pflanze ſelbſt aber<lb/>
in einer beſtändigen Bewegung von einem Ort zum andern, in beſtän-<lb/>
diger Verbindung und Trennung begriffen ſind (Bewegungslehre oder<lb/>
Phyſiologie der Pflanze). Haben wir damit nun das ganze Weſen<lb/>
der Pflanze erſchöpft? Keineswegs, und zwar ſo fern ſind wir davon,<lb/>
daß es denkbar wäre, alle jene Stoffe, alle jene Bewegungen ſoweit<lb/>ſie auf chemiſche Verbindungen und Trennungen abzielen in den<lb/>
Retorten und Tiegeln unſerer Laboratorien nachzumachen, ohne daß<lb/>
dabei eine Erſcheinung hervorträte, welche auch nur im Allerentfern-<lb/>
teſten an eine Pflanze erinnerte. Aus Zucker, Gummi oder Pflanzen-<lb/>
gallerte bildet ſich Zellſtoff, aber Zellſtoff iſt noch keine Zelle. Erſt<lb/>
die Zellenbildung, alſo die Geſtaltung, macht den Stoff zum pflanz-<lb/>
lichen Organismus. Aus gleichartigen Zellen ſind ſämmtliche Pflanzen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[79/0095]
niſſe, die die Form ausmachen unter der uns die bewegten Maſſen
erſcheinen, mit einem Worte, eine beſtimmte Geſtalt dieſes unſeres
Sonnenſyſtems, welche als zufällig in ſo fern erſcheint, als daneben
noch unzählige andere Geſtalten möglich und vielleicht auch für andere
Sonnenmittelpuncte wirklich ſind. Dieſe letzteren Betrachtungen geben
uns die Lehre von der Geſtaltung oder die Morphologie. — Gehen
wir nun vom Sonnenſyſtem zu den Verhältniſſen unſerer Erde ſelbſt
über ſo wird die Hylologie zur Chemie, die Phoronomie zur Phy-
ſik, oder auf organiſche Körper angewendet zur Phyſiologie und die
Morphologie liefert die characteriſtiſchen Lehren für Mineralogie,
Zoologie und Botanik. —
Die einfachſte Pflanze, welche wir unterſuchen, zeigt uns ſo gut
wie jenes Sonnenſyſtem im Großen eine Reihe von Thatſachen, welche
ſich vollſtändig unter jene drei Hauptabtheilungen der Naturwiſſen-
ſchaft vertheilen laſſen. — Die Pflanze, chemiſch zerlegt, ergiebt ſich
als zuſammengeſetzt aus größern oder geringern Mengen verſchiedener
Stoffe, deren Eigenſchaften, ſo weit wir ſie bereits kennen, aufs Engſte
mit der Eigenthümlichkeit der ganzen Pflanze, verbunden ſind (Stoff-
lehre). Aber bei genauerer Aufmerkſamkeit finden wir bald, daß dieſe
Stoffe niemals in Ruhe ſind, daß Stoffe einerſeits in die Pflanze
eintreten, andererſeits dieſelbe verlaſſen, in der Pflanze ſelbſt aber
in einer beſtändigen Bewegung von einem Ort zum andern, in beſtän-
diger Verbindung und Trennung begriffen ſind (Bewegungslehre oder
Phyſiologie der Pflanze). Haben wir damit nun das ganze Weſen
der Pflanze erſchöpft? Keineswegs, und zwar ſo fern ſind wir davon,
daß es denkbar wäre, alle jene Stoffe, alle jene Bewegungen ſoweit
ſie auf chemiſche Verbindungen und Trennungen abzielen in den
Retorten und Tiegeln unſerer Laboratorien nachzumachen, ohne daß
dabei eine Erſcheinung hervorträte, welche auch nur im Allerentfern-
teſten an eine Pflanze erinnerte. Aus Zucker, Gummi oder Pflanzen-
gallerte bildet ſich Zellſtoff, aber Zellſtoff iſt noch keine Zelle. Erſt
die Zellenbildung, alſo die Geſtaltung, macht den Stoff zum pflanz-
lichen Organismus. Aus gleichartigen Zellen ſind ſämmtliche Pflanzen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/95>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.