Wir haben nun zwar gesehen, daß die einfache Zelle in ihren verschiedenen Formen die Grundlage aller Pflanzen in aller Mannig- faltigkeit ihrer Erscheinungen sey; was die Sache aber noch unend- lich viel merkwürdiger macht, ist, daß diese Zellen, die überall auf dieselbe Weise sich gebildet haben und selbst dann, wenn auch ihre spätere Form ganz dieselbe bleibt, die Kraft haben, in ihrem Innern so ganz verschiedene Stoffe zu erzeugen und dadurch der Natur ein Mittel an die Hand zu geben, um den Reichthum und die Schön- heit der Pflanzenwelt bis ins Unendliche zu vervielfältigen.
Es führt uns dies auf den eigenthümlichen Lebensproceß der Pflanzenzelle. Jede einzelne Zelle führt gleichsam ein gesondertes Leben für sich. Ihre Wände sind freilich nicht durchlöchert, aber den- noch dringt die Flüssigkeit, die sie zur Ernährung brauchen, ein. Diese besteht aus Wasser, Kohlensäure, Ammoniaksalz und einigen andern aufgelösten Salzen des Erdbodens. Diese von der Zelle auf- genommenen wenigen Stoffe werden nun durch ihre eigenthümliche Kraft mannigfach verändert und aus ihnen alle die verschiedenen Materialien gebildet, wodurch die Pflanzen eben so sehr für den ästhetischen Beschauer wie für den Haushalt des Oekonomen ihren Werth erhalten.
Gar viele Zellen führen freilich einen farblosen Saft, nament- lich alle Holz- und Bastzellen, viele sogar Luft, wie z. B. die so- genannten Gefäße. Andere aber zeigen in ihrem Innern die pracht- voll gefärbten Säfte, die den Blumen und Früchten den Reiz eines so lieblichen Farbenschmelzes verleihen, oder anderen, sonst grünen, Pflanzentheilen das gescheckte, fleckige Ansehen geben (Taf. II. Fig. 7). Dahin gehören alle Töne der rothen, blauen und gelben Farbe. Die grüne Färbung der Pflanzen beruht dagegen auf einem ganz anderen Verhältnisse, denn niemals ist der Saft der Pflanzen grün. Betrachtet man nämlich die Zellen, die dem unbewaffneten Auge grün erscheinen, unter dem Microscop, so sieht man, daß ein- zelne Körnchen einer grünen Substanz (Chlorophyll oder Blattgrün) an der innern Wand der Zelle ankleben und so den grünen Schein
Wir haben nun zwar geſehen, daß die einfache Zelle in ihren verſchiedenen Formen die Grundlage aller Pflanzen in aller Mannig- faltigkeit ihrer Erſcheinungen ſey; was die Sache aber noch unend- lich viel merkwürdiger macht, iſt, daß dieſe Zellen, die überall auf dieſelbe Weiſe ſich gebildet haben und ſelbſt dann, wenn auch ihre ſpätere Form ganz dieſelbe bleibt, die Kraft haben, in ihrem Innern ſo ganz verſchiedene Stoffe zu erzeugen und dadurch der Natur ein Mittel an die Hand zu geben, um den Reichthum und die Schön- heit der Pflanzenwelt bis ins Unendliche zu vervielfältigen.
Es führt uns dies auf den eigenthümlichen Lebensproceß der Pflanzenzelle. Jede einzelne Zelle führt gleichſam ein geſondertes Leben für ſich. Ihre Wände ſind freilich nicht durchlöchert, aber den- noch dringt die Flüſſigkeit, die ſie zur Ernährung brauchen, ein. Dieſe beſteht aus Waſſer, Kohlenſäure, Ammoniakſalz und einigen andern aufgelöſten Salzen des Erdbodens. Dieſe von der Zelle auf- genommenen wenigen Stoffe werden nun durch ihre eigenthümliche Kraft mannigfach verändert und aus ihnen alle die verſchiedenen Materialien gebildet, wodurch die Pflanzen eben ſo ſehr für den äſthetiſchen Beſchauer wie für den Haushalt des Oekonomen ihren Werth erhalten.
Gar viele Zellen führen freilich einen farbloſen Saft, nament- lich alle Holz- und Baſtzellen, viele ſogar Luft, wie z. B. die ſo- genannten Gefäße. Andere aber zeigen in ihrem Innern die pracht- voll gefärbten Säfte, die den Blumen und Früchten den Reiz eines ſo lieblichen Farbenſchmelzes verleihen, oder anderen, ſonſt grünen, Pflanzentheilen das geſcheckte, fleckige Anſehen geben (Taf. II. Fig. 7). Dahin gehören alle Töne der rothen, blauen und gelben Farbe. Die grüne Färbung der Pflanzen beruht dagegen auf einem ganz anderen Verhältniſſe, denn niemals iſt der Saft der Pflanzen grün. Betrachtet man nämlich die Zellen, die dem unbewaffneten Auge grün erſcheinen, unter dem Microſcop, ſo ſieht man, daß ein- zelne Körnchen einer grünen Subſtanz (Chlorophyll oder Blattgrün) an der innern Wand der Zelle ankleben und ſo den grünen Schein
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Wir haben nun zwar geſehen, daß die einfache Zelle in ihren
verſchiedenen Formen die Grundlage aller Pflanzen in aller Mannig-
faltigkeit ihrer Erſcheinungen ſey; was die Sache aber noch unend-
lich viel merkwürdiger macht, iſt, daß dieſe Zellen, die überall auf
dieſelbe Weiſe ſich gebildet haben und ſelbſt dann, wenn auch ihre
ſpätere Form ganz dieſelbe bleibt, die Kraft haben, in ihrem Innern
ſo ganz verſchiedene Stoffe zu erzeugen und dadurch der Natur ein
Mittel an die Hand zu geben, um den Reichthum und die Schön-
heit der Pflanzenwelt bis ins Unendliche zu vervielfältigen.
Es führt uns dies auf den eigenthümlichen Lebensproceß der
Pflanzenzelle. Jede einzelne Zelle führt gleichſam ein geſondertes
Leben für ſich. Ihre Wände ſind freilich nicht durchlöchert, aber den-
noch dringt die Flüſſigkeit, die ſie zur Ernährung brauchen, ein.
Dieſe beſteht aus Waſſer, Kohlenſäure, Ammoniakſalz und einigen
andern aufgelöſten Salzen des Erdbodens. Dieſe von der Zelle auf-
genommenen wenigen Stoffe werden nun durch ihre eigenthümliche
Kraft mannigfach verändert und aus ihnen alle die verſchiedenen
Materialien gebildet, wodurch die Pflanzen eben ſo ſehr für den
äſthetiſchen Beſchauer wie für den Haushalt des Oekonomen ihren
Werth erhalten.
Gar viele Zellen führen freilich einen farbloſen Saft, nament-
lich alle Holz- und Baſtzellen, viele ſogar Luft, wie z. B. die ſo-
genannten Gefäße. Andere aber zeigen in ihrem Innern die pracht-
voll gefärbten Säfte, die den Blumen und Früchten den Reiz eines
ſo lieblichen Farbenſchmelzes verleihen, oder anderen, ſonſt grünen,
Pflanzentheilen das geſcheckte, fleckige Anſehen geben (Taf. II.
Fig. 7). Dahin gehören alle Töne der rothen, blauen und gelben
Farbe. Die grüne Färbung der Pflanzen beruht dagegen auf einem
ganz anderen Verhältniſſe, denn niemals iſt der Saft der Pflanzen
grün. Betrachtet man nämlich die Zellen, die dem unbewaffneten
Auge grün erſcheinen, unter dem Microſcop, ſo ſieht man, daß ein-
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/63>, abgerufen am 05.12.2024.
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