wie groß ist denn ein Fuß, wie groß ein Zoll, eine Linie und so wei- ter? und immer antworten wir nur durch Vergleichungen mit andern ebenso wenig für sich bestimmbaren Größen. -- Hier zeigt sich so- gleich wie wir nicht einmal im einfachsten Falle aus dem Spiel un- serer Vorstellungen heraus zur Erkenntniß der wirklichen Welt kom- men können, der ganze Begriff der Größe hat für die Welt selbst keine wesentliche Bedeutung, sondern nur für unsere Vorstellungen. Und gleichwohl spricht der Microscopiker von Vergrößerungen und meint damit die Gegenstände besser zu erkennen als vorher? Um das zu begreifen, müssen wir wohl noch etwas über Größe philosophi- ren, um diesem so schwankenden Begriff größere Bestimmtheit und Festigkeit zu verleihen. Wir nennen z. B. den Fuß der Bavaria von Schwanthaler colossal, den Fuß eines erwachsenen Mannes groß, und den einer Dame klein und weshalb? Dies ist leicht zu sagen, theilen wir jeden dieser Füße in 12 Zolle, jeden Zoll in 12 Linien und jede Linie wieder in 12 Theile, so sind diese Zwölftellinien beim Damenfuß nicht mehr zu unterscheiden, beim Männerfuß sind sie noch recht deutlich, aber an der Bavaria könnten wir jede Zwölftel- linie abermals in 12 Theile theilen, und jeder derselben würde noch deutlich zu erkennen seyn. So haben wir aber zugleich eine einfache Bestimmung der Größe gefunden. Ein Ding ist für uns um so grö- ßer, je mehr Theile wir in ihm unterscheiden können.
Allein es kann uns bei dieser Bestimmung des Begriffs noch eine andere Betrachtung führen. Wir haben einen scheidenden Freund bis auf den Hügel vor die Stadt geleitet, noch einmal drücken wir ihn an die Brust, noch einmal schauen wir ihm lange und tief in's Antlitz, um uns alle die lieben, uns so vertrauten, ein- zelnen Züge recht fest einzuprägen. Endlich reißt er sich los und eilt von dannen, wir schauen ihm noch lange nach. Er blickt sich um und noch erkennen wir das bekannte Gesicht. Immer größer wird die Entfernung und mehr und mehr verschwimmen die Einzelnheiten der Gestalt. Eine Biegung der Straße verbirgt ihn uns eine zeit- lang, da taucht er noch einmal auf am fernsten Hügelabhang, ein
wie groß iſt denn ein Fuß, wie groß ein Zoll, eine Linie und ſo wei- ter? und immer antworten wir nur durch Vergleichungen mit andern ebenſo wenig für ſich beſtimmbaren Größen. — Hier zeigt ſich ſo- gleich wie wir nicht einmal im einfachſten Falle aus dem Spiel un- ſerer Vorſtellungen heraus zur Erkenntniß der wirklichen Welt kom- men können, der ganze Begriff der Größe hat für die Welt ſelbſt keine weſentliche Bedeutung, ſondern nur für unſere Vorſtellungen. Und gleichwohl ſpricht der Microſcopiker von Vergrößerungen und meint damit die Gegenſtände beſſer zu erkennen als vorher? Um das zu begreifen, müſſen wir wohl noch etwas über Größe philoſophi- ren, um dieſem ſo ſchwankenden Begriff größere Beſtimmtheit und Feſtigkeit zu verleihen. Wir nennen z. B. den Fuß der Bavaria von Schwanthaler coloſſal, den Fuß eines erwachſenen Mannes groß, und den einer Dame klein und weshalb? Dies iſt leicht zu ſagen, theilen wir jeden dieſer Füße in 12 Zolle, jeden Zoll in 12 Linien und jede Linie wieder in 12 Theile, ſo ſind dieſe Zwölftellinien beim Damenfuß nicht mehr zu unterſcheiden, beim Männerfuß ſind ſie noch recht deutlich, aber an der Bavaria könnten wir jede Zwölftel- linie abermals in 12 Theile theilen, und jeder derſelben würde noch deutlich zu erkennen ſeyn. So haben wir aber zugleich eine einfache Beſtimmung der Größe gefunden. Ein Ding iſt für uns um ſo grö- ßer, je mehr Theile wir in ihm unterſcheiden können.
Allein es kann uns bei dieſer Beſtimmung des Begriffs noch eine andere Betrachtung führen. Wir haben einen ſcheidenden Freund bis auf den Hügel vor die Stadt geleitet, noch einmal drücken wir ihn an die Bruſt, noch einmal ſchauen wir ihm lange und tief in's Antlitz, um uns alle die lieben, uns ſo vertrauten, ein- zelnen Züge recht feſt einzuprägen. Endlich reißt er ſich los und eilt von dannen, wir ſchauen ihm noch lange nach. Er blickt ſich um und noch erkennen wir das bekannte Geſicht. Immer größer wird die Entfernung und mehr und mehr verſchwimmen die Einzelnheiten der Geſtalt. Eine Biegung der Straße verbirgt ihn uns eine zeit- lang, da taucht er noch einmal auf am fernſten Hügelabhang, ein
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wie groß iſt denn ein Fuß, wie groß ein Zoll, eine Linie und ſo wei-
ter? und immer antworten wir nur durch Vergleichungen mit andern
ebenſo wenig für ſich beſtimmbaren Größen. — Hier zeigt ſich ſo-
gleich wie wir nicht einmal im einfachſten Falle aus dem Spiel un-
ſerer Vorſtellungen heraus zur Erkenntniß der wirklichen Welt kom-
men können, der ganze Begriff der Größe hat für die Welt ſelbſt
keine weſentliche Bedeutung, ſondern nur für unſere Vorſtellungen.
Und gleichwohl ſpricht der Microſcopiker von Vergrößerungen und
meint damit die Gegenſtände beſſer zu erkennen als vorher? Um das
zu begreifen, müſſen wir wohl noch etwas über Größe philoſophi-
ren, um dieſem ſo ſchwankenden Begriff größere Beſtimmtheit und
Feſtigkeit zu verleihen. Wir nennen z. B. den Fuß der Bavaria von
Schwanthaler coloſſal, den Fuß eines erwachſenen Mannes groß,
und den einer Dame klein und weshalb? Dies iſt leicht zu ſagen,
theilen wir jeden dieſer Füße in 12 Zolle, jeden Zoll in 12 Linien
und jede Linie wieder in 12 Theile, ſo ſind dieſe Zwölftellinien beim
Damenfuß nicht mehr zu unterſcheiden, beim Männerfuß ſind ſie
noch recht deutlich, aber an der Bavaria könnten wir jede Zwölftel-
linie abermals in 12 Theile theilen, und jeder derſelben würde noch
deutlich zu erkennen ſeyn. So haben wir aber zugleich eine einfache
Beſtimmung der Größe gefunden. Ein Ding iſt für uns um ſo grö-
ßer, je mehr Theile wir in ihm unterſcheiden können.
Allein es kann uns bei dieſer Beſtimmung des Begriffs noch
eine andere Betrachtung führen. Wir haben einen ſcheidenden
Freund bis auf den Hügel vor die Stadt geleitet, noch einmal
drücken wir ihn an die Bruſt, noch einmal ſchauen wir ihm lange
und tief in's Antlitz, um uns alle die lieben, uns ſo vertrauten, ein-
zelnen Züge recht feſt einzuprägen. Endlich reißt er ſich los und eilt
von dannen, wir ſchauen ihm noch lange nach. Er blickt ſich um
und noch erkennen wir das bekannte Geſicht. Immer größer wird
die Entfernung und mehr und mehr verſchwimmen die Einzelnheiten
der Geſtalt. Eine Biegung der Straße verbirgt ihn uns eine zeit-
lang, da taucht er noch einmal auf am fernſten Hügelabhang, ein
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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