kammähnlichen Auswüchsen besetzt, ziehen sich 40, 50, ja 100 und mehrere Hunderte von Fußen blatt- und astlos die Bauhinien, Aristolochien, Winden, Bignonien und andere in den tropi- schen Urwäldern von Baum zu Baum; oft an dem Einen hinauf- steigend, ihn umschlingend bis zum Ersticken, dann überspringend auf einen Andern, dann herabfallend in einem Bogen und wieder bis in die höchsten Gipfel eines dritten Baumes hinankletternd, wo die Pflanze vielleicht einen Büschel der prachtvollsten Blüthen in den lichteren Lüften wiegt, während sie höhnend dem Wanderer im Waldesschatten nichts beut als ihre nackten Stämme, mit denen sie oft fast undurchdring- lich das Dickicht verflicht. Aus diesem Grunde wissen wir auch bei allem Fleiße der Sammler nur in den wenigsten Fällen, welche der zahlreichen in den Herbarien aufbewahrten Blüthen mit den ebenfalls reichlich gesammelten, oft gar wunderbar abweichend gebauten Stäm- men zusammengehören.
Zu einer ganz eigenthümlichen Zeichnung verknüpft die Natur gleichsam die beiden in der vorigen Familie getrennt auftretenden Elemente, nämlich den Büschel schön entwickelter Blätter und den rein für sich ausgebildeten nackten Stamm in der von dem Cultus geheiligten, vom Alterthum gepriesenen, von Dichtern besungenen Palmenform*). Es zerfällt aber diese Form in mehrere Unter- abtheilungen, bei denen besonders durch die Substanz und Gestal- tung der Blätter ihr physiognomischer Charakter noch eigenthümlich individualisirt wird. Im Allgemeinen erhebt sich bei dieser Pflanzen- gestalt der Stamm von einer ganz niedrigen, an einen Kugelcactus erinnernden Masse bis zu der schlankesten, mehrere 100 Fuß hohen Säule, und natürlich ist der Eindruck, den die fast stammlosen Zwerg- und Nipapalmen hervorrufen, noch wesentlich verschieden von der majestätischen Erhabenheit des 180 Fuß hohen Schaffts der Wachspalme der Anden; es bleibt aber doch insbesondere die
*) Die Einfassung des Titelblattes bilden rechts die schlanken Cocos mit ge- fiedertem Laube, links die kräftigere Mauritiuspalme mit fächerförmigen Blättern.
kammähnlichen Auswüchſen beſetzt, ziehen ſich 40, 50, ja 100 und mehrere Hunderte von Fußen blatt- und aſtlos die Bauhinien, Ariſtolochien, Winden, Bignonien und andere in den tropi- ſchen Urwäldern von Baum zu Baum; oft an dem Einen hinauf- ſteigend, ihn umſchlingend bis zum Erſticken, dann überſpringend auf einen Andern, dann herabfallend in einem Bogen und wieder bis in die höchſten Gipfel eines dritten Baumes hinankletternd, wo die Pflanze vielleicht einen Büſchel der prachtvollſten Blüthen in den lichteren Lüften wiegt, während ſie höhnend dem Wanderer im Waldesſchatten nichts beut als ihre nackten Stämme, mit denen ſie oft faſt undurchdring- lich das Dickicht verflicht. Aus dieſem Grunde wiſſen wir auch bei allem Fleiße der Sammler nur in den wenigſten Fällen, welche der zahlreichen in den Herbarien aufbewahrten Blüthen mit den ebenfalls reichlich geſammelten, oft gar wunderbar abweichend gebauten Stäm- men zuſammengehören.
Zu einer ganz eigenthümlichen Zeichnung verknüpft die Natur gleichſam die beiden in der vorigen Familie getrennt auftretenden Elemente, nämlich den Büſchel ſchön entwickelter Blätter und den rein für ſich ausgebildeten nackten Stamm in der von dem Cultus geheiligten, vom Alterthum geprieſenen, von Dichtern beſungenen Palmenform*). Es zerfällt aber dieſe Form in mehrere Unter- abtheilungen, bei denen beſonders durch die Subſtanz und Geſtal- tung der Blätter ihr phyſiognomiſcher Charakter noch eigenthümlich individualiſirt wird. Im Allgemeinen erhebt ſich bei dieſer Pflanzen- geſtalt der Stamm von einer ganz niedrigen, an einen Kugelcactus erinnernden Maſſe bis zu der ſchlankeſten, mehrere 100 Fuß hohen Säule, und natürlich iſt der Eindruck, den die faſt ſtammloſen Zwerg- und Nipapalmen hervorrufen, noch weſentlich verſchieden von der majeſtätiſchen Erhabenheit des 180 Fuß hohen Schaffts der Wachspalme der Anden; es bleibt aber doch insbeſondere die
*) Die Einfaſſung des Titelblattes bilden rechts die ſchlanken Cocos mit ge- fiedertem Laube, links die kräftigere Mauritiuspalme mit fächerförmigen Blättern.
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kammähnlichen Auswüchſen beſetzt, ziehen ſich 40, 50, ja 100 und
mehrere Hunderte von Fußen blatt- und aſtlos die Bauhinien,
Ariſtolochien, Winden, Bignonien und andere in den tropi-
ſchen Urwäldern von Baum zu Baum; oft an dem Einen hinauf-
ſteigend, ihn umſchlingend bis zum Erſticken, dann überſpringend auf
einen Andern, dann herabfallend in einem Bogen und wieder bis in die
höchſten Gipfel eines dritten Baumes hinankletternd, wo die Pflanze
vielleicht einen Büſchel der prachtvollſten Blüthen in den lichteren Lüften
wiegt, während ſie höhnend dem Wanderer im Waldesſchatten nichts
beut als ihre nackten Stämme, mit denen ſie oft faſt undurchdring-
lich das Dickicht verflicht. Aus dieſem Grunde wiſſen wir auch bei
allem Fleiße der Sammler nur in den wenigſten Fällen, welche der
zahlreichen in den Herbarien aufbewahrten Blüthen mit den ebenfalls
reichlich geſammelten, oft gar wunderbar abweichend gebauten Stäm-
men zuſammengehören.
Zu einer ganz eigenthümlichen Zeichnung verknüpft die Natur
gleichſam die beiden in der vorigen Familie getrennt auftretenden
Elemente, nämlich den Büſchel ſchön entwickelter Blätter und den
rein für ſich ausgebildeten nackten Stamm in der von dem Cultus
geheiligten, vom Alterthum geprieſenen, von Dichtern beſungenen
Palmenform *). Es zerfällt aber dieſe Form in mehrere Unter-
abtheilungen, bei denen beſonders durch die Subſtanz und Geſtal-
tung der Blätter ihr phyſiognomiſcher Charakter noch eigenthümlich
individualiſirt wird. Im Allgemeinen erhebt ſich bei dieſer Pflanzen-
geſtalt der Stamm von einer ganz niedrigen, an einen Kugelcactus
erinnernden Maſſe bis zu der ſchlankeſten, mehrere 100 Fuß hohen
Säule, und natürlich iſt der Eindruck, den die faſt ſtammloſen
Zwerg- und Nipapalmen hervorrufen, noch weſentlich verſchieden
von der majeſtätiſchen Erhabenheit des 180 Fuß hohen Schaffts der
Wachspalme der Anden; es bleibt aber doch insbeſondere die
*) Die Einfaſſung des Titelblattes bilden rechts die ſchlanken Cocos mit ge-
fiedertem Laube, links die kräftigere Mauritiuspalme mit fächerförmigen Blättern.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/320>, abgerufen am 17.07.2024.
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