und plastische Schönheit eine nie versiegende Quelle des Genusses für alle Zeiten seyn wird.
Aber dieses Verhältniß kann nur auf einer gewissen Bildungs- stufe der Menschheit bestehen. Der forschende Vorwitz des Menschen läßt ihn bald am Isisschleier der Natur zerren und je mehr es ihm gelingt denselben zu lüften, desto mehr schwinden die Götter aus sei- ner unmittelbaren Umgebung, von der Erde und endlich auch aus dem Sternenhimmel und die ganze Natur mit ihrem Getriebe von Kräften und Stoffen fällt der "gemeinen Deutlichkeit der Dinge", der entgei- sternden Physik anheim. Es bleibt keine Substanz, nichts Wesent- liches in der Natur zurück, was eines Gottes bedürfte, einen Gott enthielte; unter wesenlosen, unveränderlichen Naturgesetzen läuft das Uhrwerk ab und zieht sich auf, ohne Bedürfniß, -- aber auch ohne Schönheit, ohne Freude. -- Aber seltsam! der Naturforscher beweißt sich unwiderleglich: es giebt in der Natur keine Farbe, sondern nur Aetherwellen verschiedener Länge, es giebt keinen Ton, sondern nur Luftschwingungen, die sich langsamer oder rascher folgen und so fort -- und doch entzückt ihn zugleich das Farbenspiel des Regenbogens, doch schwellt das tiefe Flöten der Nachtigall seine Brust mit Sehnsucht, doch kann er von dem ganzen Haufwerke seelenloser Massen, die als Land- schaft vor ihm liegen, den "goldnen Duft der Morgenröthe" nicht abstreifen, wodurch sie ihm lieblich zum Herzen spricht oder in ihrer Erhabenheit seine Seele fortreißt über die Grenze der Raumwelt; wohin? er weiß es nicht, nur sein Gefühl pocht darauf: es muß ein Jenseits geben; aber wo liegt dieses? --
Nicht im Raume, nicht in der Zeit. Zwar ist das Paradies der Völker wie des Einzelnen, wenn auch nicht räumlich, doch zeitlich zu ermitteln. Das Eden des Menschen ist eben jene erste ursprüngliche Stufe, wo er sich noch keine Rechenschaft gegeben über seinen Zustand, seine Stellung zur Natur, wo ihm Gott und Natur noch als Eins erschei- nen, weil er von beiden falsche Vorstellungen hat, die er sich nach Ana- logie seiner eigenen Natur ausführt, Vorstellungen, welche Natur und Gottheit einander nahe bringen, weil sie jene zu hoch und diese zu
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und plaſtiſche Schönheit eine nie verſiegende Quelle des Genuſſes für alle Zeiten ſeyn wird.
Aber dieſes Verhältniß kann nur auf einer gewiſſen Bildungs- ſtufe der Menſchheit beſtehen. Der forſchende Vorwitz des Menſchen läßt ihn bald am Iſisſchleier der Natur zerren und je mehr es ihm gelingt denſelben zu lüften, deſto mehr ſchwinden die Götter aus ſei- ner unmittelbaren Umgebung, von der Erde und endlich auch aus dem Sternenhimmel und die ganze Natur mit ihrem Getriebe von Kräften und Stoffen fällt der „gemeinen Deutlichkeit der Dinge“, der entgei- ſternden Phyſik anheim. Es bleibt keine Subſtanz, nichts Weſent- liches in der Natur zurück, was eines Gottes bedürfte, einen Gott enthielte; unter weſenloſen, unveränderlichen Naturgeſetzen läuft das Uhrwerk ab und zieht ſich auf, ohne Bedürfniß, — aber auch ohne Schönheit, ohne Freude. — Aber ſeltſam! der Naturforſcher beweißt ſich unwiderleglich: es giebt in der Natur keine Farbe, ſondern nur Aetherwellen verſchiedener Länge, es giebt keinen Ton, ſondern nur Luftſchwingungen, die ſich langſamer oder raſcher folgen und ſo fort — und doch entzückt ihn zugleich das Farbenſpiel des Regenbogens, doch ſchwellt das tiefe Flöten der Nachtigall ſeine Bruſt mit Sehnſucht, doch kann er von dem ganzen Haufwerke ſeelenloſer Maſſen, die als Land- ſchaft vor ihm liegen, den „goldnen Duft der Morgenröthe“ nicht abſtreifen, wodurch ſie ihm lieblich zum Herzen ſpricht oder in ihrer Erhabenheit ſeine Seele fortreißt über die Grenze der Raumwelt; wohin? er weiß es nicht, nur ſein Gefühl pocht darauf: es muß ein Jenſeits geben; aber wo liegt dieſes? —
Nicht im Raume, nicht in der Zeit. Zwar iſt das Paradies der Völker wie des Einzelnen, wenn auch nicht räumlich, doch zeitlich zu ermitteln. Das Eden des Menſchen iſt eben jene erſte urſprüngliche Stufe, wo er ſich noch keine Rechenſchaft gegeben über ſeinen Zuſtand, ſeine Stellung zur Natur, wo ihm Gott und Natur noch als Eins erſchei- nen, weil er von beiden falſche Vorſtellungen hat, die er ſich nach Ana- logie ſeiner eigenen Natur ausführt, Vorſtellungen, welche Natur und Gottheit einander nahe bringen, weil ſie jene zu hoch und dieſe zu
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und plaſtiſche Schönheit eine nie verſiegende Quelle des Genuſſes
für alle Zeiten ſeyn wird.
Aber dieſes Verhältniß kann nur auf einer gewiſſen Bildungs-
ſtufe der Menſchheit beſtehen. Der forſchende Vorwitz des Menſchen
läßt ihn bald am Iſisſchleier der Natur zerren und je mehr es ihm
gelingt denſelben zu lüften, deſto mehr ſchwinden die Götter aus ſei-
ner unmittelbaren Umgebung, von der Erde und endlich auch aus dem
Sternenhimmel und die ganze Natur mit ihrem Getriebe von Kräften
und Stoffen fällt der „gemeinen Deutlichkeit der Dinge“, der entgei-
ſternden Phyſik anheim. Es bleibt keine Subſtanz, nichts Weſent-
liches in der Natur zurück, was eines Gottes bedürfte, einen Gott
enthielte; unter weſenloſen, unveränderlichen Naturgeſetzen läuft das
Uhrwerk ab und zieht ſich auf, ohne Bedürfniß, — aber auch ohne
Schönheit, ohne Freude. — Aber ſeltſam! der Naturforſcher beweißt
ſich unwiderleglich: es giebt in der Natur keine Farbe, ſondern nur
Aetherwellen verſchiedener Länge, es giebt keinen Ton, ſondern nur
Luftſchwingungen, die ſich langſamer oder raſcher folgen und ſo fort —
und doch entzückt ihn zugleich das Farbenſpiel des Regenbogens, doch
ſchwellt das tiefe Flöten der Nachtigall ſeine Bruſt mit Sehnſucht, doch
kann er von dem ganzen Haufwerke ſeelenloſer Maſſen, die als Land-
ſchaft vor ihm liegen, den „goldnen Duft der Morgenröthe“ nicht
abſtreifen, wodurch ſie ihm lieblich zum Herzen ſpricht oder in ihrer
Erhabenheit ſeine Seele fortreißt über die Grenze der Raumwelt;
wohin? er weiß es nicht, nur ſein Gefühl pocht darauf: es muß ein
Jenſeits geben; aber wo liegt dieſes? —
Nicht im Raume, nicht in der Zeit. Zwar iſt das Paradies der
Völker wie des Einzelnen, wenn auch nicht räumlich, doch zeitlich zu
ermitteln. Das Eden des Menſchen iſt eben jene erſte urſprüngliche
Stufe, wo er ſich noch keine Rechenſchaft gegeben über ſeinen Zuſtand,
ſeine Stellung zur Natur, wo ihm Gott und Natur noch als Eins erſchei-
nen, weil er von beiden falſche Vorſtellungen hat, die er ſich nach Ana-
logie ſeiner eigenen Natur ausführt, Vorſtellungen, welche Natur und
Gottheit einander nahe bringen, weil ſie jene zu hoch und dieſe zu
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/307>, abgerufen am 22.11.2024.
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