wenn auch minder erfolgreich, in sich vereinigte. Denn wir müssen es eingestehen, daß, wenn auch nicht Gotteswerk, doch Menschenwerk vom Unvollkommenen beginnt und zum Vollkommenen fortschreitet, daß beim menschlichen Thun und Treiben in der That der einfachere unentwickelte Zustand auch der unvollkommnere ist. Gleichwohl fin- den wir auch in der menschlichen Entwicklung ein solches Auseinander- treten der einzelnen Elemente, die anfänglich verbunden und ununter- scheidbar gleichsam in einem Chaos zusammenliegen. Wir wollen hier aber nur ein Verhältniß näher ins Auge fassen und uns klar zu machen suchen, nämlich die Stellung, welche der Mensch der Natur gegenüber einnimmt. --
Im Beginn der Entwicklung finden wir stets eine innige und völlige Verschmelzung von Physik und religiöser Weltanschauung und jede ursprüngliche Darlegung der frommen Gefühle des Menschen ist Naturdienst. So spricht sich in den ägyptischen Culten der Isis und des Osiris, der heiligen Thiere gar nicht zu gedenken, unmittelbar unter der Form der Gottesverehrung, die Anerkennung der um den Aegypter wirksamsten und segenreichsten Naturkräfte aus, so gestaltet sich aus der üppigen Natur Indiens die bilderreiche Naturgeschichte des Brahmanenthums und auf den lichten, sonnigen Höhen Irans und Turans betet der Mensch die lichtbringende Sonne und ihr Symbol das Feuer an, während man in der nordischen Mytho- logie unschwer den Kampf des eisigen Winters und seiner Stürme mit dem kurzen Sommer erkennt. Am schönsten, feinsten und durch- gebildetsten erscheint uns aber diese Naturreligion bei den geistig so hochbegabten Griechen, in deren im Ganzen trocknen heitern Lande das ganze Gedeihen der organischen Welt an die locale und jährliche Vertheilung der Feuchtigkeit gebunden war und so in der vergöttern- den Personificirung des heitern Zeus, der Wolken bringenden Here, des wärmenden Apollo, des blitzenden Hephaistos und sofort eine wunderbar schöne Gestaltung und Verschmelzung von Religion, Physik und Poesie, ein Mythos geschaffen wurde, dessen Reichthum
wenn auch minder erfolgreich, in ſich vereinigte. Denn wir müſſen es eingeſtehen, daß, wenn auch nicht Gotteswerk, doch Menſchenwerk vom Unvollkommenen beginnt und zum Vollkommenen fortſchreitet, daß beim menſchlichen Thun und Treiben in der That der einfachere unentwickelte Zuſtand auch der unvollkommnere iſt. Gleichwohl fin- den wir auch in der menſchlichen Entwicklung ein ſolches Auseinander- treten der einzelnen Elemente, die anfänglich verbunden und ununter- ſcheidbar gleichſam in einem Chaos zuſammenliegen. Wir wollen hier aber nur ein Verhältniß näher ins Auge faſſen und uns klar zu machen ſuchen, nämlich die Stellung, welche der Menſch der Natur gegenüber einnimmt. —
Im Beginn der Entwicklung finden wir ſtets eine innige und völlige Verſchmelzung von Phyſik und religiöſer Weltanſchauung und jede urſprüngliche Darlegung der frommen Gefühle des Menſchen iſt Naturdienſt. So ſpricht ſich in den ägyptiſchen Culten der Iſis und des Oſiris, der heiligen Thiere gar nicht zu gedenken, unmittelbar unter der Form der Gottesverehrung, die Anerkennung der um den Aegypter wirkſamſten und ſegenreichſten Naturkräfte aus, ſo geſtaltet ſich aus der üppigen Natur Indiens die bilderreiche Naturgeſchichte des Brahmanenthums und auf den lichten, ſonnigen Höhen Irans und Turans betet der Menſch die lichtbringende Sonne und ihr Symbol das Feuer an, während man in der nordiſchen Mytho- logie unſchwer den Kampf des eiſigen Winters und ſeiner Stürme mit dem kurzen Sommer erkennt. Am ſchönſten, feinſten und durch- gebildetſten erſcheint uns aber dieſe Naturreligion bei den geiſtig ſo hochbegabten Griechen, in deren im Ganzen trocknen heitern Lande das ganze Gedeihen der organiſchen Welt an die locale und jährliche Vertheilung der Feuchtigkeit gebunden war und ſo in der vergöttern- den Perſonificirung des heitern Zeus, der Wolken bringenden Here, des wärmenden Apollo, des blitzenden Hephaiſtos und ſofort eine wunderbar ſchöne Geſtaltung und Verſchmelzung von Religion, Phyſik und Poeſie, ein Mythos geſchaffen wurde, deſſen Reichthum
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wenn auch minder erfolgreich, in ſich vereinigte. Denn wir müſſen
es eingeſtehen, daß, wenn auch nicht Gotteswerk, doch Menſchenwerk
vom Unvollkommenen beginnt und zum Vollkommenen fortſchreitet,
daß beim menſchlichen Thun und Treiben in der That der einfachere
unentwickelte Zuſtand auch der unvollkommnere iſt. Gleichwohl fin-
den wir auch in der menſchlichen Entwicklung ein ſolches Auseinander-
treten der einzelnen Elemente, die anfänglich verbunden und ununter-
ſcheidbar gleichſam in einem Chaos zuſammenliegen. Wir wollen
hier aber nur ein Verhältniß näher ins Auge faſſen und uns klar zu
machen ſuchen, nämlich die Stellung, welche der Menſch der Natur
gegenüber einnimmt. —
Im Beginn der Entwicklung finden wir ſtets eine innige und
völlige Verſchmelzung von Phyſik und religiöſer Weltanſchauung und
jede urſprüngliche Darlegung der frommen Gefühle des Menſchen iſt
Naturdienſt. So ſpricht ſich in den ägyptiſchen Culten der Iſis und des
Oſiris, der heiligen Thiere gar nicht zu gedenken, unmittelbar unter
der Form der Gottesverehrung, die Anerkennung der um den Aegypter
wirkſamſten und ſegenreichſten Naturkräfte aus, ſo geſtaltet ſich aus
der üppigen Natur Indiens die bilderreiche Naturgeſchichte des
Brahmanenthums und auf den lichten, ſonnigen Höhen Irans
und Turans betet der Menſch die lichtbringende Sonne und
ihr Symbol das Feuer an, während man in der nordiſchen Mytho-
logie unſchwer den Kampf des eiſigen Winters und ſeiner Stürme
mit dem kurzen Sommer erkennt. Am ſchönſten, feinſten und durch-
gebildetſten erſcheint uns aber dieſe Naturreligion bei den geiſtig ſo
hochbegabten Griechen, in deren im Ganzen trocknen heitern Lande
das ganze Gedeihen der organiſchen Welt an die locale und jährliche
Vertheilung der Feuchtigkeit gebunden war und ſo in der vergöttern-
den Perſonificirung des heitern Zeus, der Wolken bringenden Here,
des wärmenden Apollo, des blitzenden Hephaiſtos und ſofort
eine wunderbar ſchöne Geſtaltung und Verſchmelzung von Religion,
Phyſik und Poeſie, ein Mythos geſchaffen wurde, deſſen Reichthum
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/306>, abgerufen am 22.11.2024.
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