Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

zweier Welten. Sein ganzes Wesen wird nicht von der Körperwelt
allein umfaßt, sondern eine Welt freier, geistiger Wesen, in der
er Unsterblichkeit fordert, über welcher er einen Gott als gütigen
Lenker sich denkt, fordert ihren Antheil an seinem Daseyn. Auf ge-
heimnißvolle, uns als Menschen ewig unenträthselbare Weise ist
in unserer Natur Seele und Leib, Geistiges und Körperliches ver-
schmolzen. Wo ist die Grenze des Einen, wo der Anfang des
Andern? Die meisten Menschen und selbst oft die größten Forscher
antworten uns, wir wissen es nicht; es giebt keine Grenze, Beides
geht in einander über und durchdringt sich in jeder Weise. Hier
liegt der Irrweg, dem forschenden Menschen so nahe gerückt, daß
er ihn nur unendlich schwer vermeiden kann, daß derselbe oft die
Scharfsinnigsten verführt und dennoch ein Irrweg, denn Geist und
Körper sind für uns so strenge, so unvermeidlich getrennt, daß keine
Brücke von einem zum Andern überführt. Es ist hier nicht am Ort,
dieses Verhältniß in allen seinen Beziehungen zu entwickeln und in
seinem ganzen Umfange gründlich zu erörtern, aber die genauere
Untersuchung dessen, was wir Sehen nennen, wird uns Gelegen-
heit geben, wenigstens an einem Beispiel den großen Sprung vom
Körperlichen zum Geistigen aufzuweisen und anzudeuten, wie die
Nichtanerkennung dieser Trennung auch bei'm Auge, oft die größten
Forscher verwirrt hat.

Was ist die Welt, in welcher das Auge heimisch ist, was ist
das Gebiet des Sehens? Die Welt des Lichtes und der Farben.
Das Licht --

Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange,
Und somit hoff' ich dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird's zu Grunde gehn.

In wenig kräftigen Zügen giebt hier Mephistopheles die ganze
Lehre vom Licht. Das Licht, wenn wir es ganz für sich betrachten,
ist nicht hell, nicht gelb und blau und roth, das Licht ist eine Be-
wegung einer sehr feinen überall verbreiteten Materie, des Aethers,
-- Schwingungen, welche sich in diesem geradlinig fortpflanzen,

zweier Welten. Sein ganzes Weſen wird nicht von der Körperwelt
allein umfaßt, ſondern eine Welt freier, geiſtiger Weſen, in der
er Unſterblichkeit fordert, über welcher er einen Gott als gütigen
Lenker ſich denkt, fordert ihren Antheil an ſeinem Daſeyn. Auf ge-
heimnißvolle, uns als Menſchen ewig unenträthſelbare Weiſe iſt
in unſerer Natur Seele und Leib, Geiſtiges und Körperliches ver-
ſchmolzen. Wo iſt die Grenze des Einen, wo der Anfang des
Andern? Die meiſten Menſchen und ſelbſt oft die größten Forſcher
antworten uns, wir wiſſen es nicht; es giebt keine Grenze, Beides
geht in einander über und durchdringt ſich in jeder Weiſe. Hier
liegt der Irrweg, dem forſchenden Menſchen ſo nahe gerückt, daß
er ihn nur unendlich ſchwer vermeiden kann, daß derſelbe oft die
Scharfſinnigſten verführt und dennoch ein Irrweg, denn Geiſt und
Körper ſind für uns ſo ſtrenge, ſo unvermeidlich getrennt, daß keine
Brücke von einem zum Andern überführt. Es iſt hier nicht am Ort,
dieſes Verhältniß in allen ſeinen Beziehungen zu entwickeln und in
ſeinem ganzen Umfange gründlich zu erörtern, aber die genauere
Unterſuchung deſſen, was wir Sehen nennen, wird uns Gelegen-
heit geben, wenigſtens an einem Beiſpiel den großen Sprung vom
Körperlichen zum Geiſtigen aufzuweiſen und anzudeuten, wie die
Nichtanerkennung dieſer Trennung auch bei'm Auge, oft die größten
Forſcher verwirrt hat.

Was iſt die Welt, in welcher das Auge heimiſch iſt, was iſt
das Gebiet des Sehens? Die Welt des Lichtes und der Farben.
Das Licht —

Von Körpern ſtrömt's, die Körper macht es ſchön,
Ein Körper hemmt's auf ſeinem Gange,
Und ſomit hoff' ich dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird's zu Grunde gehn.

In wenig kräftigen Zügen giebt hier Mephiſtopheles die ganze
Lehre vom Licht. Das Licht, wenn wir es ganz für ſich betrachten,
iſt nicht hell, nicht gelb und blau und roth, das Licht iſt eine Be-
wegung einer ſehr feinen überall verbreiteten Materie, des Aethers,
— Schwingungen, welche ſich in dieſem geradlinig fortpflanzen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="14"/>
zweier Welten. Sein ganzes We&#x017F;en wird nicht von der Körperwelt<lb/>
allein umfaßt, &#x017F;ondern eine Welt freier, gei&#x017F;tiger We&#x017F;en, in der<lb/>
er Un&#x017F;terblichkeit fordert, über welcher er einen Gott als gütigen<lb/>
Lenker &#x017F;ich denkt, fordert ihren Antheil an &#x017F;einem Da&#x017F;eyn. Auf ge-<lb/>
heimnißvolle, uns als Men&#x017F;chen ewig unenträth&#x017F;elbare Wei&#x017F;e i&#x017F;t<lb/>
in un&#x017F;erer Natur Seele und Leib, Gei&#x017F;tiges und Körperliches ver-<lb/>
&#x017F;chmolzen. Wo i&#x017F;t die Grenze des Einen, wo der Anfang des<lb/>
Andern? Die mei&#x017F;ten Men&#x017F;chen und &#x017F;elb&#x017F;t oft die größten For&#x017F;cher<lb/>
antworten uns, wir wi&#x017F;&#x017F;en es nicht; es giebt keine Grenze, Beides<lb/>
geht in einander über und durchdringt &#x017F;ich in jeder Wei&#x017F;e. Hier<lb/>
liegt der Irrweg, dem for&#x017F;chenden Men&#x017F;chen &#x017F;o nahe gerückt, daß<lb/>
er ihn nur unendlich &#x017F;chwer vermeiden kann, daß der&#x017F;elbe oft die<lb/>
Scharf&#x017F;innig&#x017F;ten verführt und dennoch ein Irrweg, denn Gei&#x017F;t und<lb/>
Körper &#x017F;ind für uns &#x017F;o &#x017F;trenge, &#x017F;o unvermeidlich getrennt, daß keine<lb/>
Brücke von einem zum Andern überführt. Es i&#x017F;t hier nicht am Ort,<lb/>
die&#x017F;es Verhältniß in allen &#x017F;einen Beziehungen zu entwickeln und in<lb/>
&#x017F;einem ganzen Umfange gründlich zu erörtern, aber die genauere<lb/>
Unter&#x017F;uchung de&#x017F;&#x017F;en, was wir Sehen nennen, wird uns Gelegen-<lb/>
heit geben, wenig&#x017F;tens an einem Bei&#x017F;piel den großen Sprung vom<lb/>
Körperlichen zum Gei&#x017F;tigen aufzuwei&#x017F;en und anzudeuten, wie die<lb/>
Nichtanerkennung die&#x017F;er Trennung auch bei'm Auge, oft die größten<lb/>
For&#x017F;cher verwirrt hat.</p><lb/>
        <p>Was i&#x017F;t die Welt, in welcher das Auge heimi&#x017F;ch i&#x017F;t, was i&#x017F;t<lb/>
das Gebiet des Sehens? Die Welt des Lichtes und der Farben.<lb/>
Das Licht &#x2014;</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Von Körpern &#x017F;trömt's, die Körper macht es &#x017F;chön,</l><lb/>
          <l>Ein Körper hemmt's auf &#x017F;einem Gange,</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;omit hoff' ich dauert es nicht lange,</l><lb/>
          <l>Und mit den Körpern wird's zu Grunde gehn.</l>
        </lg><lb/>
        <p>In wenig kräftigen Zügen giebt hier Mephi&#x017F;topheles die ganze<lb/>
Lehre vom Licht. Das Licht, wenn wir es ganz für &#x017F;ich betrachten,<lb/>
i&#x017F;t nicht hell, nicht gelb und blau und roth, das Licht i&#x017F;t eine Be-<lb/>
wegung einer &#x017F;ehr feinen überall verbreiteten Materie, des Aethers,<lb/>
&#x2014; Schwingungen, welche &#x017F;ich in die&#x017F;em geradlinig fortpflanzen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0030] zweier Welten. Sein ganzes Weſen wird nicht von der Körperwelt allein umfaßt, ſondern eine Welt freier, geiſtiger Weſen, in der er Unſterblichkeit fordert, über welcher er einen Gott als gütigen Lenker ſich denkt, fordert ihren Antheil an ſeinem Daſeyn. Auf ge- heimnißvolle, uns als Menſchen ewig unenträthſelbare Weiſe iſt in unſerer Natur Seele und Leib, Geiſtiges und Körperliches ver- ſchmolzen. Wo iſt die Grenze des Einen, wo der Anfang des Andern? Die meiſten Menſchen und ſelbſt oft die größten Forſcher antworten uns, wir wiſſen es nicht; es giebt keine Grenze, Beides geht in einander über und durchdringt ſich in jeder Weiſe. Hier liegt der Irrweg, dem forſchenden Menſchen ſo nahe gerückt, daß er ihn nur unendlich ſchwer vermeiden kann, daß derſelbe oft die Scharfſinnigſten verführt und dennoch ein Irrweg, denn Geiſt und Körper ſind für uns ſo ſtrenge, ſo unvermeidlich getrennt, daß keine Brücke von einem zum Andern überführt. Es iſt hier nicht am Ort, dieſes Verhältniß in allen ſeinen Beziehungen zu entwickeln und in ſeinem ganzen Umfange gründlich zu erörtern, aber die genauere Unterſuchung deſſen, was wir Sehen nennen, wird uns Gelegen- heit geben, wenigſtens an einem Beiſpiel den großen Sprung vom Körperlichen zum Geiſtigen aufzuweiſen und anzudeuten, wie die Nichtanerkennung dieſer Trennung auch bei'm Auge, oft die größten Forſcher verwirrt hat. Was iſt die Welt, in welcher das Auge heimiſch iſt, was iſt das Gebiet des Sehens? Die Welt des Lichtes und der Farben. Das Licht — Von Körpern ſtrömt's, die Körper macht es ſchön, Ein Körper hemmt's auf ſeinem Gange, Und ſomit hoff' ich dauert es nicht lange, Und mit den Körpern wird's zu Grunde gehn. In wenig kräftigen Zügen giebt hier Mephiſtopheles die ganze Lehre vom Licht. Das Licht, wenn wir es ganz für ſich betrachten, iſt nicht hell, nicht gelb und blau und roth, das Licht iſt eine Be- wegung einer ſehr feinen überall verbreiteten Materie, des Aethers, — Schwingungen, welche ſich in dieſem geradlinig fortpflanzen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/30
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/30>, abgerufen am 20.04.2024.