und dem Gange, den die Wissenschaft in der nächsten Zeit nehmen muß und nehmen wird, schon jetzt das Schlußresultat anticipiren, an dessen vollkommener Begründung vielleicht noch ein Jahrhundert arbeiten kann. Dann lautet unser Sprüchlein dahin, daß überhaupt der ganze Reichthum und die ganze Mannigfaltigkeit der irdischen Vegetation, ihre große Verschiedenheit, sowohl wenn wir Längen- und Breiten-Zonen, als wenn wir die wilde Natur mit dem Culturlande ver- gleichen, ganz ausschließlich abhängig ist von der Verschiedenheit der un- organischen Bestandtheile, welche die Pflanze aus dem Boden aufnimmt.
Betrachten wir die wilde Vegetation unserer Breiten, so finden wir zwei Hauptclassen des Bodens, die eine im Torf- oder Moor- boden, welcher fast ganz allein aus Humus, also aus verwesten or- ganischen Stoffen besteht, und die andere im Kalk-, Sand- und Thon- boden, in welchem die unorganischen Bestandtheile so sehr vorherr- schen, daß der Humus in dem schwärzesten Boden höchstens 10 Procent und selbst in dem üppigsten und pflanzenreichsten oft kaum 1/2 Procent ausmacht. Und jener an Humus so reiche Torf- oder Moorboden kann von den 5000 in Centraleuropa wachsenden Phanerogamen noch keine 300 ernähren, und vielleicht sind es keine 50 Pflanzen, also noch nicht 1 Procent, deren Gedeihen wirklich durch den Moorboden bedingt wäre, die nicht auch anderweitig, wo ihnen die nöthige Feuchtigkeit geboten wird, trefflich gedeihen könnten. Die meisten diesem humus- reichsten Boden angehörigen Pflanzen sind aus der Familie der Bin- sen und Riedgräser, welche dem Landmanne als sogen. saures Futter völlig unnütz und verhaßt genug sind. Dagegen ernährt die andere Classe die ganze Vegetation unserer Breiten in einer Mannigfaltigkeit, die für unser durch die Tropenwelt nicht verwöhntes Auge bunt genug ist, und meist finden wir die reichste Fülle auf dem Boden, der am ärmsten an Humus, aber am reichsten an unorganischen Bestandtheilen ist, auf Basalt-, Granit-, Porphyr- und Kalkboden. Alle jene verschie- denen Pflanzenarten kehren uns Jahr aus Jahr ein in derselben Form wieder, der Kreis ihrer Merkmale ist streng begrenzt, und wenn wir die jüngsten geognostischen Formationen durchsuchen, so finden
und dem Gange, den die Wiſſenſchaft in der nächſten Zeit nehmen muß und nehmen wird, ſchon jetzt das Schlußreſultat anticipiren, an deſſen vollkommener Begründung vielleicht noch ein Jahrhundert arbeiten kann. Dann lautet unſer Sprüchlein dahin, daß überhaupt der ganze Reichthum und die ganze Mannigfaltigkeit der irdiſchen Vegetation, ihre große Verſchiedenheit, ſowohl wenn wir Längen- und Breiten-Zonen, als wenn wir die wilde Natur mit dem Culturlande ver- gleichen, ganz ausſchließlich abhängig iſt von der Verſchiedenheit der un- organiſchen Beſtandtheile, welche die Pflanze aus dem Boden aufnimmt.
Betrachten wir die wilde Vegetation unſerer Breiten, ſo finden wir zwei Hauptclaſſen des Bodens, die eine im Torf- oder Moor- boden, welcher faſt ganz allein aus Humus, alſo aus verweſten or- ganiſchen Stoffen beſteht, und die andere im Kalk-, Sand- und Thon- boden, in welchem die unorganiſchen Beſtandtheile ſo ſehr vorherr- ſchen, daß der Humus in dem ſchwärzeſten Boden höchſtens 10 Procent und ſelbſt in dem üppigſten und pflanzenreichſten oft kaum ½ Procent ausmacht. Und jener an Humus ſo reiche Torf- oder Moorboden kann von den 5000 in Centraleuropa wachſenden Phanerogamen noch keine 300 ernähren, und vielleicht ſind es keine 50 Pflanzen, alſo noch nicht 1 Procent, deren Gedeihen wirklich durch den Moorboden bedingt wäre, die nicht auch anderweitig, wo ihnen die nöthige Feuchtigkeit geboten wird, trefflich gedeihen könnten. Die meiſten dieſem humus- reichſten Boden angehörigen Pflanzen ſind aus der Familie der Bin- ſen und Riedgräſer, welche dem Landmanne als ſogen. ſaures Futter völlig unnütz und verhaßt genug ſind. Dagegen ernährt die andere Claſſe die ganze Vegetation unſerer Breiten in einer Mannigfaltigkeit, die für unſer durch die Tropenwelt nicht verwöhntes Auge bunt genug iſt, und meiſt finden wir die reichſte Fülle auf dem Boden, der am ärmſten an Humus, aber am reichſten an unorganiſchen Beſtandtheilen iſt, auf Baſalt-, Granit-, Porphyr- und Kalkboden. Alle jene verſchie- denen Pflanzenarten kehren uns Jahr aus Jahr ein in derſelben Form wieder, der Kreis ihrer Merkmale iſt ſtreng begrenzt, und wenn wir die jüngſten geognoſtiſchen Formationen durchſuchen, ſo finden
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und dem Gange, den die Wiſſenſchaft in der nächſten Zeit nehmen
muß und nehmen wird, ſchon jetzt das Schlußreſultat anticipiren,
an deſſen vollkommener Begründung vielleicht noch ein Jahrhundert
arbeiten kann. Dann lautet unſer Sprüchlein dahin, daß überhaupt
der ganze Reichthum und die ganze Mannigfaltigkeit der irdiſchen
Vegetation, ihre große Verſchiedenheit, ſowohl wenn wir Längen- und
Breiten-Zonen, als wenn wir die wilde Natur mit dem Culturlande ver-
gleichen, ganz ausſchließlich abhängig iſt von der Verſchiedenheit der un-
organiſchen Beſtandtheile, welche die Pflanze aus dem Boden aufnimmt.
Betrachten wir die wilde Vegetation unſerer Breiten, ſo finden
wir zwei Hauptclaſſen des Bodens, die eine im Torf- oder Moor-
boden, welcher faſt ganz allein aus Humus, alſo aus verweſten or-
ganiſchen Stoffen beſteht, und die andere im Kalk-, Sand- und Thon-
boden, in welchem die unorganiſchen Beſtandtheile ſo ſehr vorherr-
ſchen, daß der Humus in dem ſchwärzeſten Boden höchſtens 10 Procent
und ſelbſt in dem üppigſten und pflanzenreichſten oft kaum ½ Procent
ausmacht. Und jener an Humus ſo reiche Torf- oder Moorboden kann
von den 5000 in Centraleuropa wachſenden Phanerogamen noch keine
300 ernähren, und vielleicht ſind es keine 50 Pflanzen, alſo noch
nicht 1 Procent, deren Gedeihen wirklich durch den Moorboden bedingt
wäre, die nicht auch anderweitig, wo ihnen die nöthige Feuchtigkeit
geboten wird, trefflich gedeihen könnten. Die meiſten dieſem humus-
reichſten Boden angehörigen Pflanzen ſind aus der Familie der Bin-
ſen und Riedgräſer, welche dem Landmanne als ſogen. ſaures Futter
völlig unnütz und verhaßt genug ſind. Dagegen ernährt die andere
Claſſe die ganze Vegetation unſerer Breiten in einer Mannigfaltigkeit,
die für unſer durch die Tropenwelt nicht verwöhntes Auge bunt genug iſt,
und meiſt finden wir die reichſte Fülle auf dem Boden, der am ärmſten
an Humus, aber am reichſten an unorganiſchen Beſtandtheilen iſt,
auf Baſalt-, Granit-, Porphyr- und Kalkboden. Alle jene verſchie-
denen Pflanzenarten kehren uns Jahr aus Jahr ein in derſelben
Form wieder, der Kreis ihrer Merkmale iſt ſtreng begrenzt, und wenn
wir die jüngſten geognoſtiſchen Formationen durchſuchen, ſo finden
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/172>, abgerufen am 22.11.2024.
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