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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Bausch und Bogen die Männer, die sie vertreten, verunglimpfte,
während er gleichzeitig die crasseste Unwissenheit in diesen Disciplinen
zur Schau trug. Ein andrer Theil der Einwürfe kam von den un-
wissenden und beschränkten Köpfen aus älteren naturwissenschaftlichen
Schulen, denen, um diese Sätze zu beurtheilen, nicht mehr als Alles
und namentlich gründliche Kenntniß der Physik und Chemie abging.
Endlich ein anderer Theil entsprang noch aus einem Mißverstand,
den Liebig selbst durch unklare Auffassung und mangelhafte Einklei-
dung veranlaßt hatte. Man glaubte nämlich, daß diese Theorie des
Stoffwechsels durch die drei Reiche der Natur schon eine Theorie des
Pflanzen- und Thierlebens seyn solle, und dachte mit dem Nachweis,
daß hier gar Vieles unerklärt und dunkel bleibe, gar Vieles sich nicht
mit jener Theorie reimen lasse, diese selbst umwerfen zu können. Das
Verhältniß jener großartigen Ansichten zum Thier- und Pflanzenleben
ist aber ein ganz anderes. Für sich sind jene allgemeinen Umrisse voll-
endet und unerschütterlich festgestellt. Für das Pflanzen- und Thier-
reich aber gelten sie uns als leitende Maximen, mit denen in Einklang
wir die genauere Auszeichnung des Bildes zu versuchen, nach denen
wir die Zulässigkeit der Hypothesen im Einzelnen zu entscheiden haben,
und es mag seyn, daß wir noch lange forschen müssen, bis wir hier
alle einzelnen Glieder auffinden, die die Kette vollständig schließen. Die
Theorie des Stoffwechsels sagt uns nur im Allgemeinen, was zwischen
Pflanzen und Thieren, Thieren und Atmosphäre, Atmosphäre und
Pflanzen vor sich geht, aber sie sagt uns nicht, was für Processe in
der Pflanze, im Thier Statt finden, wohl aber bindet sie unsere fer-
neren Untersuchungen in sofern, als wir von vorn herein jeden Er-
klärungsversuch als falsch verwerfen müssen, der jener Theorie des
Stoffwechsels widerspricht. Alle Versuche z. B. die Ernährung der
Pflanzen aus den organischen Bestandtheilen des Bodens abzuleiten,
stehen ganz müssig da, weil wir durch jene Theorie wissen, daß wir
mit den sämmtlichen organischen Stoffen nie und nimmer auch nur
für den vierten Theil der darauf wachsenden Pflanze Rechenschaft
geben können.

Bauſch und Bogen die Männer, die ſie vertreten, verunglimpfte,
während er gleichzeitig die craſſeſte Unwiſſenheit in dieſen Diſciplinen
zur Schau trug. Ein andrer Theil der Einwürfe kam von den un-
wiſſenden und beſchränkten Köpfen aus älteren naturwiſſenſchaftlichen
Schulen, denen, um dieſe Sätze zu beurtheilen, nicht mehr als Alles
und namentlich gründliche Kenntniß der Phyſik und Chemie abging.
Endlich ein anderer Theil entſprang noch aus einem Mißverſtand,
den Liebig ſelbſt durch unklare Auffaſſung und mangelhafte Einklei-
dung veranlaßt hatte. Man glaubte nämlich, daß dieſe Theorie des
Stoffwechſels durch die drei Reiche der Natur ſchon eine Theorie des
Pflanzen- und Thierlebens ſeyn ſolle, und dachte mit dem Nachweis,
daß hier gar Vieles unerklärt und dunkel bleibe, gar Vieles ſich nicht
mit jener Theorie reimen laſſe, dieſe ſelbſt umwerfen zu können. Das
Verhältniß jener großartigen Anſichten zum Thier- und Pflanzenleben
iſt aber ein ganz anderes. Für ſich ſind jene allgemeinen Umriſſe voll-
endet und unerſchütterlich feſtgeſtellt. Für das Pflanzen- und Thier-
reich aber gelten ſie uns als leitende Maximen, mit denen in Einklang
wir die genauere Auszeichnung des Bildes zu verſuchen, nach denen
wir die Zuläſſigkeit der Hypotheſen im Einzelnen zu entſcheiden haben,
und es mag ſeyn, daß wir noch lange forſchen müſſen, bis wir hier
alle einzelnen Glieder auffinden, die die Kette vollſtändig ſchließen. Die
Theorie des Stoffwechſels ſagt uns nur im Allgemeinen, was zwiſchen
Pflanzen und Thieren, Thieren und Atmoſphäre, Atmoſphäre und
Pflanzen vor ſich geht, aber ſie ſagt uns nicht, was für Proceſſe in
der Pflanze, im Thier Statt finden, wohl aber bindet ſie unſere fer-
neren Unterſuchungen in ſofern, als wir von vorn herein jeden Er-
klärungsverſuch als falſch verwerfen müſſen, der jener Theorie des
Stoffwechſels widerſpricht. Alle Verſuche z. B. die Ernährung der
Pflanzen aus den organiſchen Beſtandtheilen des Bodens abzuleiten,
ſtehen ganz müſſig da, weil wir durch jene Theorie wiſſen, daß wir
mit den ſämmtlichen organiſchen Stoffen nie und nimmer auch nur
für den vierten Theil der darauf wachſenden Pflanze Rechenſchaft
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[148/0164] Bauſch und Bogen die Männer, die ſie vertreten, verunglimpfte, während er gleichzeitig die craſſeſte Unwiſſenheit in dieſen Diſciplinen zur Schau trug. Ein andrer Theil der Einwürfe kam von den un- wiſſenden und beſchränkten Köpfen aus älteren naturwiſſenſchaftlichen Schulen, denen, um dieſe Sätze zu beurtheilen, nicht mehr als Alles und namentlich gründliche Kenntniß der Phyſik und Chemie abging. Endlich ein anderer Theil entſprang noch aus einem Mißverſtand, den Liebig ſelbſt durch unklare Auffaſſung und mangelhafte Einklei- dung veranlaßt hatte. Man glaubte nämlich, daß dieſe Theorie des Stoffwechſels durch die drei Reiche der Natur ſchon eine Theorie des Pflanzen- und Thierlebens ſeyn ſolle, und dachte mit dem Nachweis, daß hier gar Vieles unerklärt und dunkel bleibe, gar Vieles ſich nicht mit jener Theorie reimen laſſe, dieſe ſelbſt umwerfen zu können. Das Verhältniß jener großartigen Anſichten zum Thier- und Pflanzenleben iſt aber ein ganz anderes. Für ſich ſind jene allgemeinen Umriſſe voll- endet und unerſchütterlich feſtgeſtellt. Für das Pflanzen- und Thier- reich aber gelten ſie uns als leitende Maximen, mit denen in Einklang wir die genauere Auszeichnung des Bildes zu verſuchen, nach denen wir die Zuläſſigkeit der Hypotheſen im Einzelnen zu entſcheiden haben, und es mag ſeyn, daß wir noch lange forſchen müſſen, bis wir hier alle einzelnen Glieder auffinden, die die Kette vollſtändig ſchließen. Die Theorie des Stoffwechſels ſagt uns nur im Allgemeinen, was zwiſchen Pflanzen und Thieren, Thieren und Atmoſphäre, Atmoſphäre und Pflanzen vor ſich geht, aber ſie ſagt uns nicht, was für Proceſſe in der Pflanze, im Thier Statt finden, wohl aber bindet ſie unſere fer- neren Unterſuchungen in ſofern, als wir von vorn herein jeden Er- klärungsverſuch als falſch verwerfen müſſen, der jener Theorie des Stoffwechſels widerſpricht. Alle Verſuche z. B. die Ernährung der Pflanzen aus den organiſchen Beſtandtheilen des Bodens abzuleiten, ſtehen ganz müſſig da, weil wir durch jene Theorie wiſſen, daß wir mit den ſämmtlichen organiſchen Stoffen nie und nimmer auch nur für den vierten Theil der darauf wachſenden Pflanze Rechenſchaft geben können.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/164>, abgerufen am 22.11.2024.