Ob die Worte unseres Motto, welche der Dichter dem bösen Geiste in den Mund legt, Wahrheit haben? Ob die Rede des ge- meinen Lebens wie der heiligen Poesie, daß der Mensch dem Staube entstamme und wieder zu Staub und Asche werde, mehr sind als ein poetisches Gleichniß? Nur die Naturwissenschaft, die Physiologie kann es uns beantworten.
Es war mir erlaubt, in einer früheren Vorlesung den Natur- forscher zu vertheidigen, wenn er behauptete, der Mensch lebe nur von der Luft, stamme von derselben und kehre in dieselbe wieder zurück. Die Verwesung löst alle thierischen Körper in Ammoniak, Kohlensäure und Wasser auf, und diese verfliegen als Gas und Wasserdunst in die Luft. Seine Nahrung entnimmt der Mensch mit- telbar oder unmittelbar ganz dem Pflanzenreiche, und dieses lebt wesentlich ganz auf Kosten der Kohlensäure, des Ammoniak und des Wassers der Atmosphäre.
Diese Ansichten verdanken wir den sich folgenden und ergänzen- den Untersuchungen der ausgezeichnetsten Forscher der letzten 100 Jahre; doch erst in neuester Zeit sind sie von Liebig in einer Weise ausgesprochen, die die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Gegen ihn haben sich von den verschiedensten Seiten her lebhafte Stimmen erhoben, aber sehr verschieden sind die Gründe und Ein- würfe, welche man gegen ihn geltend gemacht hat. Ein Theil der Opposition galt nicht den Ansichten, so weit sie mitzutheilen mir früher vergönnt war, sondern der gar nicht zu rechtfertigenden Unart, mit welcher Liebig ihm völlig fremde Wissenschaften herabsetzte und in
10*
Ob die Worte unſeres Motto, welche der Dichter dem böſen Geiſte in den Mund legt, Wahrheit haben? Ob die Rede des ge- meinen Lebens wie der heiligen Poeſie, daß der Menſch dem Staube entſtamme und wieder zu Staub und Aſche werde, mehr ſind als ein poetiſches Gleichniß? Nur die Naturwiſſenſchaft, die Phyſiologie kann es uns beantworten.
Es war mir erlaubt, in einer früheren Vorleſung den Natur- forſcher zu vertheidigen, wenn er behauptete, der Menſch lebe nur von der Luft, ſtamme von derſelben und kehre in dieſelbe wieder zurück. Die Verweſung löſt alle thieriſchen Körper in Ammoniak, Kohlenſäure und Waſſer auf, und dieſe verfliegen als Gas und Waſſerdunſt in die Luft. Seine Nahrung entnimmt der Menſch mit- telbar oder unmittelbar ganz dem Pflanzenreiche, und dieſes lebt weſentlich ganz auf Koſten der Kohlenſäure, des Ammoniak und des Waſſers der Atmoſphäre.
Dieſe Anſichten verdanken wir den ſich folgenden und ergänzen- den Unterſuchungen der ausgezeichnetſten Forſcher der letzten 100 Jahre; doch erſt in neueſter Zeit ſind ſie von Liebig in einer Weiſe ausgeſprochen, die die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſie lenkte. Gegen ihn haben ſich von den verſchiedenſten Seiten her lebhafte Stimmen erhoben, aber ſehr verſchieden ſind die Gründe und Ein- würfe, welche man gegen ihn geltend gemacht hat. Ein Theil der Oppoſition galt nicht den Anſichten, ſo weit ſie mitzutheilen mir früher vergönnt war, ſondern der gar nicht zu rechtfertigenden Unart, mit welcher Liebig ihm völlig fremde Wiſſenſchaften herabſetzte und in
10*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0163"n="[147]"/><p>Ob die Worte unſeres Motto, welche der Dichter dem böſen<lb/>
Geiſte in den Mund legt, Wahrheit haben? Ob die Rede des ge-<lb/>
meinen Lebens wie der heiligen Poeſie, daß der Menſch dem Staube<lb/>
entſtamme und wieder zu Staub und Aſche werde, mehr ſind als ein<lb/>
poetiſches Gleichniß? Nur die Naturwiſſenſchaft, die Phyſiologie<lb/>
kann es uns beantworten.</p><lb/><p>Es war mir erlaubt, in einer früheren Vorleſung den Natur-<lb/>
forſcher zu vertheidigen, wenn er behauptete, der Menſch lebe nur<lb/>
von der Luft, ſtamme von derſelben und kehre in dieſelbe wieder<lb/>
zurück. Die Verweſung löſt alle thieriſchen Körper in Ammoniak,<lb/>
Kohlenſäure und Waſſer auf, und dieſe verfliegen als Gas und<lb/>
Waſſerdunſt in die Luft. Seine Nahrung entnimmt der Menſch mit-<lb/>
telbar oder unmittelbar ganz dem Pflanzenreiche, und dieſes lebt<lb/>
weſentlich ganz auf Koſten der Kohlenſäure, des Ammoniak und des<lb/>
Waſſers der Atmoſphäre.</p><lb/><p>Dieſe Anſichten verdanken wir den ſich folgenden und ergänzen-<lb/>
den Unterſuchungen der ausgezeichnetſten Forſcher der letzten 100<lb/>
Jahre; doch erſt in neueſter Zeit ſind ſie von <hirendition="#g">Liebig</hi> in einer Weiſe<lb/>
ausgeſprochen, die die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſie lenkte.<lb/>
Gegen ihn haben ſich von den verſchiedenſten Seiten her lebhafte<lb/>
Stimmen erhoben, aber ſehr verſchieden ſind die Gründe und Ein-<lb/>
würfe, welche man gegen ihn geltend gemacht hat. Ein Theil der<lb/>
Oppoſition galt nicht den Anſichten, ſo weit ſie mitzutheilen mir früher<lb/>
vergönnt war, ſondern der gar nicht zu rechtfertigenden Unart, mit<lb/>
welcher <hirendition="#g">Liebig</hi> ihm völlig fremde Wiſſenſchaften herabſetzte und in<lb/><fwplace="bottom"type="sig">10*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[147]/0163]
Ob die Worte unſeres Motto, welche der Dichter dem böſen
Geiſte in den Mund legt, Wahrheit haben? Ob die Rede des ge-
meinen Lebens wie der heiligen Poeſie, daß der Menſch dem Staube
entſtamme und wieder zu Staub und Aſche werde, mehr ſind als ein
poetiſches Gleichniß? Nur die Naturwiſſenſchaft, die Phyſiologie
kann es uns beantworten.
Es war mir erlaubt, in einer früheren Vorleſung den Natur-
forſcher zu vertheidigen, wenn er behauptete, der Menſch lebe nur
von der Luft, ſtamme von derſelben und kehre in dieſelbe wieder
zurück. Die Verweſung löſt alle thieriſchen Körper in Ammoniak,
Kohlenſäure und Waſſer auf, und dieſe verfliegen als Gas und
Waſſerdunſt in die Luft. Seine Nahrung entnimmt der Menſch mit-
telbar oder unmittelbar ganz dem Pflanzenreiche, und dieſes lebt
weſentlich ganz auf Koſten der Kohlenſäure, des Ammoniak und des
Waſſers der Atmoſphäre.
Dieſe Anſichten verdanken wir den ſich folgenden und ergänzen-
den Unterſuchungen der ausgezeichnetſten Forſcher der letzten 100
Jahre; doch erſt in neueſter Zeit ſind ſie von Liebig in einer Weiſe
ausgeſprochen, die die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſie lenkte.
Gegen ihn haben ſich von den verſchiedenſten Seiten her lebhafte
Stimmen erhoben, aber ſehr verſchieden ſind die Gründe und Ein-
würfe, welche man gegen ihn geltend gemacht hat. Ein Theil der
Oppoſition galt nicht den Anſichten, ſo weit ſie mitzutheilen mir früher
vergönnt war, ſondern der gar nicht zu rechtfertigenden Unart, mit
welcher Liebig ihm völlig fremde Wiſſenſchaften herabſetzte und in
10*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. [147]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/163>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.