Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.Dritte Vorlesung. theidigung beschränkten geistigen Horizont, mit kaum dämmerndem Be¬wußtsein einer Persönlichkeit, eines Wesens, das mehr ist als Sache, so wird Niemand den unendlichen Abstand verkennen. -- Könnten wir nach allen den Merkmalen, wodurch sich beide unterscheiden, ihnen wie an einer Thermometerscala ihre Stellung vorzeichnen und dann nach denselben Merkmalen einem gut erzogenen Affen darunter seinen Platz anweisen, so würden wir finden, daß der gradweise abzumessende Un¬ terschied zwischen Goethe und dem Australneger bei weitem größer ist, als der von Letzterem zum Thier. Wer durch zufällige Begünstigung, wie sie mir wurde, vor eini¬ Bleiben wir hier zunächst bei dem stehen was uns ganz allein auf Dritte Vorleſung. theidigung beſchränkten geiſtigen Horizont, mit kaum dämmerndem Be¬wußtſein einer Perſönlichkeit, eines Weſens, das mehr iſt als Sache, ſo wird Niemand den unendlichen Abſtand verkennen. — Könnten wir nach allen den Merkmalen, wodurch ſich beide unterſcheiden, ihnen wie an einer Thermometerſcala ihre Stellung vorzeichnen und dann nach denſelben Merkmalen einem gut erzogenen Affen darunter ſeinen Platz anweiſen, ſo würden wir finden, daß der gradweiſe abzumeſſende Un¬ terſchied zwiſchen Goethe und dem Auſtralneger bei weitem größer iſt, als der von Letzterem zum Thier. Wer durch zufällige Begünſtigung, wie ſie mir wurde, vor eini¬ Bleiben wir hier zunächſt bei dem ſtehen was uns ganz allein auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0058" n="48"/><fw place="top" type="header">Dritte Vorleſung.<lb/></fw>theidigung beſchränkten geiſtigen Horizont, mit kaum dämmerndem Be¬<lb/> wußtſein einer Perſönlichkeit, eines Weſens, das mehr iſt als Sache,<lb/> ſo wird Niemand den unendlichen Abſtand verkennen. — Könnten wir<lb/> nach allen den Merkmalen, wodurch ſich beide unterſcheiden, ihnen wie<lb/> an einer Thermometerſcala ihre Stellung vorzeichnen und dann nach<lb/> denſelben Merkmalen einem gut erzogenen Affen darunter ſeinen Platz<lb/> anweiſen, ſo würden wir finden, daß der gradweiſe abzumeſſende Un¬<lb/> terſchied zwiſchen Goethe und dem Auſtralneger bei weitem größer iſt,<lb/> als der von Letzterem zum Thier.</p><lb/> <p>Wer durch zufällige Begünſtigung, wie ſie mir wurde, vor eini¬<lb/> gen Jahren in Leipzig gleichzeitig die beiden ſogenannten Azteken, un¬<lb/> zweifelhafte Menſchen, und den jungen Orang-Outang, ein unzwei¬<lb/> felhaftes Thier, längere Zeit zu beobachten Gelegenheit hatte, konnte<lb/> unmöglich anſtehen, dem Orang-Outang die bei weitem größere Bil¬<lb/> dungsfähigkeit und die auffallenderen Aeußerungen der Intelligenz zu¬<lb/> zuſprechen. — Wir müſſen alſo zunächſt uns von dem Vorurtheil ent¬<lb/> wöhnen, als wenn der Abſtand vom Menſchen, als Gattung genom¬<lb/> men, zum Thier ſo unendlich groß ſei, vielmehr fällt derſelbe viel ge¬<lb/> ringer aus als der Abſtand von einem Menſchen zum andern, wenn<lb/> wir die Extreme ins Auge faſſen, viel geringer als derſelbe zwiſchen<lb/> Thier und Thier erſcheint. Der Menſch ſteht hier ganz offenbar auf<lb/> einer und derſelben Stufenleiter mit dem Thiere, zwar auf der höchſten<lb/> Sproße, aber ohne von der vorhergehenden durch eine unüberſchreit¬<lb/> bare Kluft getrennt zu ſein.</p><lb/> <p>Bleiben wir hier zunächſt bei dem ſtehen was uns ganz allein auf<lb/> der Seite der Naturwiſſenſchaft entgegentritt, ſo kann die Berechtigung<lb/> den Menſchen von körperlicher Seite mit dem Thiere zuſammenzuhal¬<lb/> ten, ihm unter den letzteren eine beſtimmte Stellung anzuweiſen, nicht<lb/> für einen Augenblick in Zweifel gezogen werden. — Die Frage, welche<lb/> Stellung ihm gebührt, wo er ſeine nächſten Verwandten findet, wie<lb/> ſehr und durch welche Charaktere er ſich von dieſen unterſcheidet, iſt in<lb/> neuerer Zeit wieder in den Vorgrund getreten und wir haben von For¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [48/0058]
Dritte Vorleſung.
theidigung beſchränkten geiſtigen Horizont, mit kaum dämmerndem Be¬
wußtſein einer Perſönlichkeit, eines Weſens, das mehr iſt als Sache,
ſo wird Niemand den unendlichen Abſtand verkennen. — Könnten wir
nach allen den Merkmalen, wodurch ſich beide unterſcheiden, ihnen wie
an einer Thermometerſcala ihre Stellung vorzeichnen und dann nach
denſelben Merkmalen einem gut erzogenen Affen darunter ſeinen Platz
anweiſen, ſo würden wir finden, daß der gradweiſe abzumeſſende Un¬
terſchied zwiſchen Goethe und dem Auſtralneger bei weitem größer iſt,
als der von Letzterem zum Thier.
Wer durch zufällige Begünſtigung, wie ſie mir wurde, vor eini¬
gen Jahren in Leipzig gleichzeitig die beiden ſogenannten Azteken, un¬
zweifelhafte Menſchen, und den jungen Orang-Outang, ein unzwei¬
felhaftes Thier, längere Zeit zu beobachten Gelegenheit hatte, konnte
unmöglich anſtehen, dem Orang-Outang die bei weitem größere Bil¬
dungsfähigkeit und die auffallenderen Aeußerungen der Intelligenz zu¬
zuſprechen. — Wir müſſen alſo zunächſt uns von dem Vorurtheil ent¬
wöhnen, als wenn der Abſtand vom Menſchen, als Gattung genom¬
men, zum Thier ſo unendlich groß ſei, vielmehr fällt derſelbe viel ge¬
ringer aus als der Abſtand von einem Menſchen zum andern, wenn
wir die Extreme ins Auge faſſen, viel geringer als derſelbe zwiſchen
Thier und Thier erſcheint. Der Menſch ſteht hier ganz offenbar auf
einer und derſelben Stufenleiter mit dem Thiere, zwar auf der höchſten
Sproße, aber ohne von der vorhergehenden durch eine unüberſchreit¬
bare Kluft getrennt zu ſein.
Bleiben wir hier zunächſt bei dem ſtehen was uns ganz allein auf
der Seite der Naturwiſſenſchaft entgegentritt, ſo kann die Berechtigung
den Menſchen von körperlicher Seite mit dem Thiere zuſammenzuhal¬
ten, ihm unter den letzteren eine beſtimmte Stellung anzuweiſen, nicht
für einen Augenblick in Zweifel gezogen werden. — Die Frage, welche
Stellung ihm gebührt, wo er ſeine nächſten Verwandten findet, wie
ſehr und durch welche Charaktere er ſich von dieſen unterſcheidet, iſt in
neuerer Zeit wieder in den Vorgrund getreten und wir haben von For¬
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