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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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Keim lebendiger Entfaltung; die Ableitung bleibt
immer dürftig, und wird nachher die Künstlich-
keit durch immer mehr angehäufte Affixa auch
noch so sehr gesteigert, so wird dadurch eher die
Schwierigkeit vermehrt, als wahre einfache Schön-
heit und Leichtigkeit gewonnen werden. Der
scheinbare Reichthum ist im Grunde Armuth,
und es sind diese Sprachen, sie mögen roh oder
gebildet seyn, immer schwer, leicht verworren
und oft noch besonders ausgezeichnet durch einen
eigensinnig willkührlichen, subjektiv sonderbaren
und mangelhaften Charakter.

Die Betrachtung der amerikanischen Spra-
chen kann übrigens von großem Nutzen seyn,
um diejenigen, welche immer noch hoffen, alle
Sprachen, auch der Materie und den Wurzeln
nach, auf einen gemeinschaftlichen Stamm zu-
rückführen zu können, zu überführen, wie ganz
unmöglich dieses sei. Wir müssen uns damit
begnügen, daß jene Sprachen, in denen Flexion
herrscht, auch den Wurzeln nach in eine ge-
meinschaftliche Quelle zusammengehen; die un-
bestimmbare Mannichfaltigkeit der andern Spra-
chen läßt sich nicht auf Einheit zurückführen,

Keim lebendiger Entfaltung; die Ableitung bleibt
immer duͤrftig, und wird nachher die Kuͤnſtlich-
keit durch immer mehr angehaͤufte Affixa auch
noch ſo ſehr geſteigert, ſo wird dadurch eher die
Schwierigkeit vermehrt, als wahre einfache Schoͤn-
heit und Leichtigkeit gewonnen werden. Der
ſcheinbare Reichthum iſt im Grunde Armuth,
und es ſind dieſe Sprachen, ſie moͤgen roh oder
gebildet ſeyn, immer ſchwer, leicht verworren
und oft noch beſonders ausgezeichnet durch einen
eigenſinnig willkuͤhrlichen, ſubjektiv ſonderbaren
und mangelhaften Charakter.

Die Betrachtung der amerikaniſchen Spra-
chen kann uͤbrigens von großem Nutzen ſeyn,
um diejenigen, welche immer noch hoffen, alle
Sprachen, auch der Materie und den Wurzeln
nach, auf einen gemeinſchaftlichen Stamm zu-
ruͤckfuͤhren zu koͤnnen, zu uͤberfuͤhren, wie ganz
unmoͤglich dieſes ſei. Wir muͤſſen uns damit
begnuͤgen, daß jene Sprachen, in denen Flexion
herrſcht, auch den Wurzeln nach in eine ge-
meinſchaftliche Quelle zuſammengehen; die un-
beſtimmbare Mannichfaltigkeit der andern Spra-
chen laͤßt ſich nicht auf Einheit zuruͤckfuͤhren,

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[52/0071] Keim lebendiger Entfaltung; die Ableitung bleibt immer duͤrftig, und wird nachher die Kuͤnſtlich- keit durch immer mehr angehaͤufte Affixa auch noch ſo ſehr geſteigert, ſo wird dadurch eher die Schwierigkeit vermehrt, als wahre einfache Schoͤn- heit und Leichtigkeit gewonnen werden. Der ſcheinbare Reichthum iſt im Grunde Armuth, und es ſind dieſe Sprachen, ſie moͤgen roh oder gebildet ſeyn, immer ſchwer, leicht verworren und oft noch beſonders ausgezeichnet durch einen eigenſinnig willkuͤhrlichen, ſubjektiv ſonderbaren und mangelhaften Charakter. Die Betrachtung der amerikaniſchen Spra- chen kann uͤbrigens von großem Nutzen ſeyn, um diejenigen, welche immer noch hoffen, alle Sprachen, auch der Materie und den Wurzeln nach, auf einen gemeinſchaftlichen Stamm zu- ruͤckfuͤhren zu koͤnnen, zu uͤberfuͤhren, wie ganz unmoͤglich dieſes ſei. Wir muͤſſen uns damit begnuͤgen, daß jene Sprachen, in denen Flexion herrſcht, auch den Wurzeln nach in eine ge- meinſchaftliche Quelle zuſammengehen; die un- beſtimmbare Mannichfaltigkeit der andern Spra- chen laͤßt ſich nicht auf Einheit zuruͤckfuͤhren,

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/71>, abgerufen am 04.05.2024.