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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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mals in der That bewundrungswürdig reich.
Alles aber, was auf diese Weise aus der einfa-
chen Wurzel hervorgeht, behält noch das Ge-
präge seiner Verwandtschaft, hängt zusammen
und so trägt und erhält sichs gegenseitig. Da-
her der Reichthum einestheils und dann die Be-
standheit und Dauerhaftigkeit dieser Sprachen,
von denen man wohl sagen kann, daß sie orga-
nisch entstanden sein, und ein organisches Ge-
webe bilden; so daß man nach Jahrtausenden in
Sprachen, die durch weite Länder getrennt sind,
oft noch mit leichter Mühe den Faden wahr-
nimmt, der sich durch den weitentfalteten Reich-
thum eines ganzen Wortgeschlechtes hinzieht,
und uns bis zum einfachen Ursprunge der ersten
Wurzel zurükführt. In Sprachen hingegen, die
statt der Flexion nur Affixa haben, sind die
Wurzeln nicht eigentlich das; kein fruchtbarer
Same, sondern nur wie ein Haufen Atome,
die jeder Wind des Zufalls leicht aus einander
treiben oder zusammenführen kann; der Zusam-
menhang eigentlich kein andrer, als ein bloß
mechanischer durch äussere Anfügung. Es fehlt
diesen Sprachen im ersten Ursprunge an einem

mals in der That bewundrungswuͤrdig reich.
Alles aber, was auf dieſe Weiſe aus der einfa-
chen Wurzel hervorgeht, behaͤlt noch das Ge-
praͤge ſeiner Verwandtſchaft, haͤngt zuſammen
und ſo traͤgt und erhaͤlt ſichs gegenſeitig. Da-
her der Reichthum einestheils und dann die Be-
ſtandheit und Dauerhaftigkeit dieſer Sprachen,
von denen man wohl ſagen kann, daß ſie orga-
niſch entſtanden ſein, und ein organiſches Ge-
webe bilden; ſo daß man nach Jahrtauſenden in
Sprachen, die durch weite Laͤnder getrennt ſind,
oft noch mit leichter Muͤhe den Faden wahr-
nimmt, der ſich durch den weitentfalteten Reich-
thum eines ganzen Wortgeſchlechtes hinzieht,
und uns bis zum einfachen Urſprunge der erſten
Wurzel zuruͤkfuͤhrt. In Sprachen hingegen, die
ſtatt der Flexion nur Affixa haben, ſind die
Wurzeln nicht eigentlich das; kein fruchtbarer
Same, ſondern nur wie ein Haufen Atome,
die jeder Wind des Zufalls leicht aus einander
treiben oder zuſammenfuͤhren kann; der Zuſam-
menhang eigentlich kein andrer, als ein bloß
mechaniſcher durch aͤuſſere Anfuͤgung. Es fehlt
dieſen Sprachen im erſten Urſprunge an einem

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[51/0070] mals in der That bewundrungswuͤrdig reich. Alles aber, was auf dieſe Weiſe aus der einfa- chen Wurzel hervorgeht, behaͤlt noch das Ge- praͤge ſeiner Verwandtſchaft, haͤngt zuſammen und ſo traͤgt und erhaͤlt ſichs gegenſeitig. Da- her der Reichthum einestheils und dann die Be- ſtandheit und Dauerhaftigkeit dieſer Sprachen, von denen man wohl ſagen kann, daß ſie orga- niſch entſtanden ſein, und ein organiſches Ge- webe bilden; ſo daß man nach Jahrtauſenden in Sprachen, die durch weite Laͤnder getrennt ſind, oft noch mit leichter Muͤhe den Faden wahr- nimmt, der ſich durch den weitentfalteten Reich- thum eines ganzen Wortgeſchlechtes hinzieht, und uns bis zum einfachen Urſprunge der erſten Wurzel zuruͤkfuͤhrt. In Sprachen hingegen, die ſtatt der Flexion nur Affixa haben, ſind die Wurzeln nicht eigentlich das; kein fruchtbarer Same, ſondern nur wie ein Haufen Atome, die jeder Wind des Zufalls leicht aus einander treiben oder zuſammenfuͤhren kann; der Zuſam- menhang eigentlich kein andrer, als ein bloß mechaniſcher durch aͤuſſere Anfuͤgung. Es fehlt dieſen Sprachen im erſten Urſprunge an einem

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/70>, abgerufen am 03.05.2024.