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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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lebt und athmet, die helle Klarheit, in der alles
dasteht, bedarf nicht dieses wilden Feuers, und
keiner unerwarteten Schläge und Strahlen der
glühenden Fantasie.

Eine andre Eigenschaft, die man auch als
eine charakteristische Eigenthümlichkeit orienta-
lischer Werke ansieht, betrifft mehr den Gedan-
kengang im Ganzen und selbst die Anordnung
und Composition, die sich durch Dunkelheit oft
von den Werken der Griechen unterscheidet. Auf
die indischen Werke ist dieses wiederum gar
nicht anwendbar, sondern vorzüglich auf die vor-
hin genannten Nationen. Theils hängt dies
wohl zusammen mit der eben geschilderten Uep-
pigkeit bildlicher Fantasie, und dem Hange zur
Allegorie; wo diese im Einzelnen vorwalten, da
wird auch im Gliederbau und der Anordnung
des Ganzen oft dieselbe bloß andeutende Kühn-
heit herrschen, und daher Dunkelheit entspringen.
Zum Theil dürfte es sich aber auch aus denje-
nigen Grundverschiedenheiten der Grammatik,
die wir im ersten Buch entwickelt haben, erklä-
ren lassen. Ich halte dafür, daß alle Werke der
Rede dem Gesetz ihrer Sprache von Natur fol-

lebt und athmet, die helle Klarheit, in der alles
daſteht, bedarf nicht dieſes wilden Feuers, und
keiner unerwarteten Schlaͤge und Strahlen der
gluͤhenden Fantaſie.

Eine andre Eigenſchaft, die man auch als
eine charakteriſtiſche Eigenthuͤmlichkeit orienta-
liſcher Werke anſieht, betrifft mehr den Gedan-
kengang im Ganzen und ſelbſt die Anordnung
und Compoſition, die ſich durch Dunkelheit oft
von den Werken der Griechen unterſcheidet. Auf
die indiſchen Werke iſt dieſes wiederum gar
nicht anwendbar, ſondern vorzuͤglich auf die vor-
hin genannten Nationen. Theils haͤngt dies
wohl zuſammen mit der eben geſchilderten Uep-
pigkeit bildlicher Fantaſie, und dem Hange zur
Allegorie; wo dieſe im Einzelnen vorwalten, da
wird auch im Gliederbau und der Anordnung
des Ganzen oft dieſelbe bloß andeutende Kuͤhn-
heit herrſchen, und daher Dunkelheit entſpringen.
Zum Theil duͤrfte es ſich aber auch aus denje-
nigen Grundverſchiedenheiten der Grammatik,
die wir im erſten Buch entwickelt haben, erklaͤ-
ren laſſen. Ich halte dafuͤr, daß alle Werke der
Rede dem Geſetz ihrer Sprache von Natur fol-

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[215/0234] lebt und athmet, die helle Klarheit, in der alles daſteht, bedarf nicht dieſes wilden Feuers, und keiner unerwarteten Schlaͤge und Strahlen der gluͤhenden Fantaſie. Eine andre Eigenſchaft, die man auch als eine charakteriſtiſche Eigenthuͤmlichkeit orienta- liſcher Werke anſieht, betrifft mehr den Gedan- kengang im Ganzen und ſelbſt die Anordnung und Compoſition, die ſich durch Dunkelheit oft von den Werken der Griechen unterſcheidet. Auf die indiſchen Werke iſt dieſes wiederum gar nicht anwendbar, ſondern vorzuͤglich auf die vor- hin genannten Nationen. Theils haͤngt dies wohl zuſammen mit der eben geſchilderten Uep- pigkeit bildlicher Fantaſie, und dem Hange zur Allegorie; wo dieſe im Einzelnen vorwalten, da wird auch im Gliederbau und der Anordnung des Ganzen oft dieſelbe bloß andeutende Kuͤhn- heit herrſchen, und daher Dunkelheit entſpringen. Zum Theil duͤrfte es ſich aber auch aus denje- nigen Grundverſchiedenheiten der Grammatik, die wir im erſten Buch entwickelt haben, erklaͤ- ren laſſen. Ich halte dafuͤr, daß alle Werke der Rede dem Geſetz ihrer Sprache von Natur fol-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/234>, abgerufen am 29.11.2024.