sind die Bewohner Asiens und die Europäer wie Glieder einer Familie zu betrachten, deren Ge- schichte durchaus nicht getrennt werden darf, wenn man das Ganze verstehen will. Aber auch was man in der Litteratur gewöhnlich den orientali- schen Styl und Geist nennt, ist nur von eini- gen asiatischen Völkern hergenommen, besonders von den Arabern und Persern, und von einigen Schriften des alten Testaments, insofern sie bloß als Poesie beurtheilt werden; auf mehre andre Völker paßt es gar nicht. Es besteht diese orien- talische Eigenthümlichkeit nach der gewöhnlichen Vorstellungsart, in einer hohen Kühnheit und verschwenderischen Fülle und Pracht der Bilder nebst dem oft damit verbundenen Hange zur Allegorie. Das südliche Klima kann nur als mitwirkende Ursache, nicht als Hauptgrund dieser Richtung der Fantasie gelten, da dieselbe bei so manchen sehr südlichen und auch sehr dichte- rischen Nationen, wie die Indier, so gar nicht gefunden wird. Die eigentliche Ursache liegt vielmehr in der intellectuellen Religion. Ueber- all wo eine solche herrscht, sie sei [n]un philoso- phisch tief, und aus göttlicher Liebe hervorge-
ſind die Bewohner Aſiens und die Europaͤer wie Glieder einer Familie zu betrachten, deren Ge- ſchichte durchaus nicht getrennt werden darf, wenn man das Ganze verſtehen will. Aber auch was man in der Litteratur gewoͤhnlich den orientali- ſchen Styl und Geiſt nennt, iſt nur von eini- gen aſiatiſchen Voͤlkern hergenommen, beſonders von den Arabern und Perſern, und von einigen Schriften des alten Teſtaments, inſofern ſie bloß als Poeſie beurtheilt werden; auf mehre andre Voͤlker paßt es gar nicht. Es beſteht dieſe orien- taliſche Eigenthuͤmlichkeit nach der gewoͤhnlichen Vorſtellungsart, in einer hohen Kuͤhnheit und verſchwenderiſchen Fuͤlle und Pracht der Bilder nebſt dem oft damit verbundenen Hange zur Allegorie. Das ſuͤdliche Klima kann nur als mitwirkende Urſache, nicht als Hauptgrund dieſer Richtung der Fantaſie gelten, da dieſelbe bei ſo manchen ſehr ſuͤdlichen und auch ſehr dichte- riſchen Nationen, wie die Indier, ſo gar nicht gefunden wird. Die eigentliche Urſache liegt vielmehr in der intellectuellen Religion. Ueber- all wo eine ſolche herrſcht, ſie ſei [n]un philoſo- phiſch tief, und aus goͤttlicher Liebe hervorge-
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ſind die Bewohner Aſiens und die Europaͤer wie
Glieder einer Familie zu betrachten, deren Ge-
ſchichte durchaus nicht getrennt werden darf, wenn
man das Ganze verſtehen will. Aber auch was
man in der Litteratur gewoͤhnlich den orientali-
ſchen Styl und Geiſt nennt, iſt nur von eini-
gen aſiatiſchen Voͤlkern hergenommen, beſonders
von den Arabern und Perſern, und von einigen
Schriften des alten Teſtaments, inſofern ſie bloß
als Poeſie beurtheilt werden; auf mehre andre
Voͤlker paßt es gar nicht. Es beſteht dieſe orien-
taliſche Eigenthuͤmlichkeit nach der gewoͤhnlichen
Vorſtellungsart, in einer hohen Kuͤhnheit und
verſchwenderiſchen Fuͤlle und Pracht der Bilder
nebſt dem oft damit verbundenen Hange zur
Allegorie. Das ſuͤdliche Klima kann nur als
mitwirkende Urſache, nicht als Hauptgrund dieſer
Richtung der Fantaſie gelten, da dieſelbe bei
ſo manchen ſehr ſuͤdlichen und auch ſehr dichte-
riſchen Nationen, wie die Indier, ſo gar nicht
gefunden wird. Die eigentliche Urſache liegt
vielmehr in der intellectuellen Religion. Ueber-
all wo eine ſolche herrſcht, ſie ſei nun philoſo-
phiſch tief, und aus goͤttlicher Liebe hervorge-
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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/232>, abgerufen am 29.11.2024.
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