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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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das Alte zum Theil angeregt und hervorgerufen,
durch seinen Geist belehrt, an seiner Kraft ge-
nährt und gebildet worden wäre. Während nun
auf der einen Seite alle Vernünftler und die,
welche vorzüglich in der Gegenwart leben und
von dem Geist derselben sich lenken und beherr-
schen lassen, fast ohne Ausnahme dem verderb-
lichen und zerstörenden Grundsatze ergeben sind,
alles durchaus neu und von vorn wie aus Nichts
erschaffen zu wollen, ist auf der andern Seite
wahre Kenntniß des Alterthums und der Sinn
für dasselbe fast verschwunden, die Philologie zu
einer in der That sehr schaalen und unfrucht-
baren Buchstabengelehrsamkeit herabgesunken,
und so bei manchen erwünschten Fortschritten
im Einzelnen, doch das Ganze zersplittert und
weder Kraft noch lebendiger Geist darin sichtbar.

Ein Vorurtheil, was in dieser Rücksicht viel
geschadet hat und noch schadet, ist die Trennung,
die man sich zwischen dem orientalischen und
dem griechischen Studium und Geist mehr selbst
erdacht und willkührlich angenommen hat, als
daß diese gänzliche Verschiedenheit in der Wahr-
heit gegründet wäre. In der Völkergeschichte

das Alte zum Theil angeregt und hervorgerufen,
durch ſeinen Geiſt belehrt, an ſeiner Kraft ge-
naͤhrt und gebildet worden waͤre. Waͤhrend nun
auf der einen Seite alle Vernuͤnftler und die,
welche vorzuͤglich in der Gegenwart leben und
von dem Geiſt derſelben ſich lenken und beherr-
ſchen laſſen, faſt ohne Ausnahme dem verderb-
lichen und zerſtoͤrenden Grundſatze ergeben ſind,
alles durchaus neu und von vorn wie aus Nichts
erſchaffen zu wollen, iſt auf der andern Seite
wahre Kenntniß des Alterthums und der Sinn
fuͤr daſſelbe faſt verſchwunden, die Philologie zu
einer in der That ſehr ſchaalen und unfrucht-
baren Buchſtabengelehrſamkeit herabgeſunken,
und ſo bei manchen erwuͤnſchten Fortſchritten
im Einzelnen, doch das Ganze zerſplittert und
weder Kraft noch lebendiger Geiſt darin ſichtbar.

Ein Vorurtheil, was in dieſer Ruͤckſicht viel
geſchadet hat und noch ſchadet, iſt die Trennung,
die man ſich zwiſchen dem orientaliſchen und
dem griechiſchen Studium und Geiſt mehr ſelbſt
erdacht und willkuͤhrlich angenommen hat, als
daß dieſe gaͤnzliche Verſchiedenheit in der Wahr-
heit gegruͤndet waͤre. In der Voͤlkergeſchichte

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[212/0231] das Alte zum Theil angeregt und hervorgerufen, durch ſeinen Geiſt belehrt, an ſeiner Kraft ge- naͤhrt und gebildet worden waͤre. Waͤhrend nun auf der einen Seite alle Vernuͤnftler und die, welche vorzuͤglich in der Gegenwart leben und von dem Geiſt derſelben ſich lenken und beherr- ſchen laſſen, faſt ohne Ausnahme dem verderb- lichen und zerſtoͤrenden Grundſatze ergeben ſind, alles durchaus neu und von vorn wie aus Nichts erſchaffen zu wollen, iſt auf der andern Seite wahre Kenntniß des Alterthums und der Sinn fuͤr daſſelbe faſt verſchwunden, die Philologie zu einer in der That ſehr ſchaalen und unfrucht- baren Buchſtabengelehrſamkeit herabgeſunken, und ſo bei manchen erwuͤnſchten Fortſchritten im Einzelnen, doch das Ganze zerſplittert und weder Kraft noch lebendiger Geiſt darin ſichtbar. Ein Vorurtheil, was in dieſer Ruͤckſicht viel geſchadet hat und noch ſchadet, iſt die Trennung, die man ſich zwiſchen dem orientaliſchen und dem griechiſchen Studium und Geiſt mehr ſelbſt erdacht und willkuͤhrlich angenommen hat, als daß dieſe gaͤnzliche Verſchiedenheit in der Wahr- heit gegruͤndet waͤre. In der Voͤlkergeſchichte

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/231>, abgerufen am 02.05.2024.