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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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und letzte Epoche des Kalidas und der andern
Dichter unter Vikromadityo, wo die indische
Poesie vorzüglich und mehr abgesondert blühte,
ist doch noch durchaus auf die ältern gegründet
und nicht von ihnen abzusondern möglich.

Möchte doch überhaupt das indische Stu-
dium dazu beitragen, uns zu der größern Art
und Ansicht der vortrefflichen Männer zurück-
zuführen, welche im funfzehnten und sechszehnten
Jahrhundert das griechische und das orientalische
Studium zuerst gestiftet haben, da man noch
nicht glaubte, daß bloße Sprachkenntniß Anspruch
auf den Nahmen eines Gelehrten gebe und fast
keiner unter jenen genannt werden kann, bei
dem nicht seltne Sprachkenntniß mit der Fülle
historischer Kenntnisse und mit einem ernsten
Studium der Philosophie wäre vereint gewesen.

Dann würden alle Theile der höhern Er-
kenntniß als ein untheilbares Ganzes vereint
mit desto größerer Kraft wirken und es würden
die Herrlichkeiten des Alterthums auch in unsre
Zeit lebendig eingreifen und sie zu neuen Her-
vorbringungen befruchten. Denn niemals ent-
stand noch ein wahrhaft Neues, das nicht durch

und letzte Epoche des Kalidas und der andern
Dichter unter Vikromadityo, wo die indiſche
Poeſie vorzuͤglich und mehr abgeſondert bluͤhte,
iſt doch noch durchaus auf die aͤltern gegruͤndet
und nicht von ihnen abzuſondern moͤglich.

Moͤchte doch uͤberhaupt das indiſche Stu-
dium dazu beitragen, uns zu der groͤßern Art
und Anſicht der vortrefflichen Maͤnner zuruͤck-
zufuͤhren, welche im funfzehnten und ſechszehnten
Jahrhundert das griechiſche und das orientaliſche
Studium zuerſt geſtiftet haben, da man noch
nicht glaubte, daß bloße Sprachkenntniß Anſpruch
auf den Nahmen eines Gelehrten gebe und faſt
keiner unter jenen genannt werden kann, bei
dem nicht ſeltne Sprachkenntniß mit der Fuͤlle
hiſtoriſcher Kenntniſſe und mit einem ernſten
Studium der Philoſophie waͤre vereint geweſen.

Dann wuͤrden alle Theile der hoͤhern Er-
kenntniß als ein untheilbares Ganzes vereint
mit deſto groͤßerer Kraft wirken und es wuͤrden
die Herrlichkeiten des Alterthums auch in unſre
Zeit lebendig eingreifen und ſie zu neuen Her-
vorbringungen befruchten. Denn niemals ent-
ſtand noch ein wahrhaft Neues, das nicht durch

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[211/0230] und letzte Epoche des Kalidas und der andern Dichter unter Vikromadityo, wo die indiſche Poeſie vorzuͤglich und mehr abgeſondert bluͤhte, iſt doch noch durchaus auf die aͤltern gegruͤndet und nicht von ihnen abzuſondern moͤglich. Moͤchte doch uͤberhaupt das indiſche Stu- dium dazu beitragen, uns zu der groͤßern Art und Anſicht der vortrefflichen Maͤnner zuruͤck- zufuͤhren, welche im funfzehnten und ſechszehnten Jahrhundert das griechiſche und das orientaliſche Studium zuerſt geſtiftet haben, da man noch nicht glaubte, daß bloße Sprachkenntniß Anſpruch auf den Nahmen eines Gelehrten gebe und faſt keiner unter jenen genannt werden kann, bei dem nicht ſeltne Sprachkenntniß mit der Fuͤlle hiſtoriſcher Kenntniſſe und mit einem ernſten Studium der Philoſophie waͤre vereint geweſen. Dann wuͤrden alle Theile der hoͤhern Er- kenntniß als ein untheilbares Ganzes vereint mit deſto groͤßerer Kraft wirken und es wuͤrden die Herrlichkeiten des Alterthums auch in unſre Zeit lebendig eingreifen und ſie zu neuen Her- vorbringungen befruchten. Denn niemals ent- ſtand noch ein wahrhaft Neues, das nicht durch

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/230>, abgerufen am 29.11.2024.