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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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unbefleckte Wohnsitze zu suchen und dort der
alten Frömmigkeit getreu zu leben.

Aber nicht bloß die erste Einführung der
indischen Verfassung mußte Zeiten der Unruhe
und Gährung mit sich führen; auch in ihr selbst
lagen Keime genug zum Zwiespalt und zum in-
nern Krieg. Zwar seit Alexander bietet uns
die indische Geschichte fast nichts dar, als eine
Reihe von Unterjochungen durch ausländische
Sieger und eine Reihe innrer Revolutionen,
die aber mehr ein bloßer Wechsel der Herrscher
und der Dynastien waren, als eine wesentliche
Veränderung der Verfassung selbst herbeiführten.
Die einzigen Buddhisten machen eine Ausnahme,
die wohl nicht so der Lehre als der Verfassung
wegen, weil sie die Eintheilung der Stände an-
tasteten und den erblichen Unterschied derselben
aufheben wollten, verfolgt und vertrieben wur-
den; doch ward die Verbreitung ihrer Lehre in
die nah gelegnen großen Länder nicht durch eine
förmliche Auswanderung, sondern mehr nur durch
einzelne Missionen bewirkt. In früheren Zeiten
aber, ehe die Verfassung so fest und zu einer
andern Natur geworden war, mußte es noch

unbefleckte Wohnſitze zu ſuchen und dort der
alten Froͤmmigkeit getreu zu leben.

Aber nicht bloß die erſte Einfuͤhrung der
indiſchen Verfaſſung mußte Zeiten der Unruhe
und Gaͤhrung mit ſich fuͤhren; auch in ihr ſelbſt
lagen Keime genug zum Zwieſpalt und zum in-
nern Krieg. Zwar ſeit Alexander bietet uns
die indiſche Geſchichte faſt nichts dar, als eine
Reihe von Unterjochungen durch auslaͤndiſche
Sieger und eine Reihe innrer Revolutionen,
die aber mehr ein bloßer Wechſel der Herrſcher
und der Dynaſtien waren, als eine weſentliche
Veraͤnderung der Verfaſſung ſelbſt herbeifuͤhrten.
Die einzigen Buddhiſten machen eine Ausnahme,
die wohl nicht ſo der Lehre als der Verfaſſung
wegen, weil ſie die Eintheilung der Staͤnde an-
taſteten und den erblichen Unterſchied derſelben
aufheben wollten, verfolgt und vertrieben wur-
den; doch ward die Verbreitung ihrer Lehre in
die nah gelegnen großen Laͤnder nicht durch eine
foͤrmliche Auswanderung, ſondern mehr nur durch
einzelne Miſſionen bewirkt. In fruͤheren Zeiten
aber, ehe die Verfaſſung ſo feſt und zu einer
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[183/0202] unbefleckte Wohnſitze zu ſuchen und dort der alten Froͤmmigkeit getreu zu leben. Aber nicht bloß die erſte Einfuͤhrung der indiſchen Verfaſſung mußte Zeiten der Unruhe und Gaͤhrung mit ſich fuͤhren; auch in ihr ſelbſt lagen Keime genug zum Zwieſpalt und zum in- nern Krieg. Zwar ſeit Alexander bietet uns die indiſche Geſchichte faſt nichts dar, als eine Reihe von Unterjochungen durch auslaͤndiſche Sieger und eine Reihe innrer Revolutionen, die aber mehr ein bloßer Wechſel der Herrſcher und der Dynaſtien waren, als eine weſentliche Veraͤnderung der Verfaſſung ſelbſt herbeifuͤhrten. Die einzigen Buddhiſten machen eine Ausnahme, die wohl nicht ſo der Lehre als der Verfaſſung wegen, weil ſie die Eintheilung der Staͤnde an- taſteten und den erblichen Unterſchied derſelben aufheben wollten, verfolgt und vertrieben wur- den; doch ward die Verbreitung ihrer Lehre in die nah gelegnen großen Laͤnder nicht durch eine foͤrmliche Auswanderung, ſondern mehr nur durch einzelne Miſſionen bewirkt. In fruͤheren Zeiten aber, ehe die Verfaſſung ſo feſt und zu einer andern Natur geworden war, mußte es noch

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/202>, abgerufen am 02.05.2024.