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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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deren gewöhnlicher und gleichsam natürlicher Lauf
fast immer nach Nordwesten gerichtet war, hier
vom Osten und vom Süden her zusammentraf,
hier also die Mischung am mannichfaltigsten und
fruchtbarsten, und dieser Erdstrich wirklich die
Stätte war, wo von Alters her Nationen ent-
standen und sich bildeten.

Man wird nie eine klare und verständliche
Ansicht der ältesten Geschichte erhalten, so lange
man die Wanderungen der Völker nur als ein
Drängen und Stoßen, wie nach blos mechanischen
Gesetzen betrachtet, ohne zugleich auf die Bedin-
gungen Rücksicht zu nehmen, wodurch ein großer
Stamm sich in mehre kleine theilen, und im-
mer individueller absondern und entwickeln mag,
oder wie auch durch Mischung aus mehren ver-
schiedenen Völkern ein drittes ganz neues ent-
stehen kann, das in Sprache und Charakter eigen-
thümlich gezeichnet und geartet ist. Nur durch
eine solche genetische Ansicht kommt Licht in das
Chacs von Thatsachen und Ueberlieferungen und
wohl oder übel begründeten Meinungen, welches
wir alte Geschichte nennen.

deren gewoͤhnlicher und gleichſam natuͤrlicher Lauf
faſt immer nach Nordweſten gerichtet war, hier
vom Oſten und vom Suͤden her zuſammentraf,
hier alſo die Miſchung am mannichfaltigſten und
fruchtbarſten, und dieſer Erdſtrich wirklich die
Staͤtte war, wo von Alters her Nationen ent-
ſtanden und ſich bildeten.

Man wird nie eine klare und verſtaͤndliche
Anſicht der aͤlteſten Geſchichte erhalten, ſo lange
man die Wanderungen der Voͤlker nur als ein
Draͤngen und Stoßen, wie nach blos mechaniſchen
Geſetzen betrachtet, ohne zugleich auf die Bedin-
gungen Ruͤckſicht zu nehmen, wodurch ein großer
Stamm ſich in mehre kleine theilen, und im-
mer individueller abſondern und entwickeln mag,
oder wie auch durch Miſchung aus mehren ver-
ſchiedenen Voͤlkern ein drittes ganz neues ent-
ſtehen kann, das in Sprache und Charakter eigen-
thuͤmlich gezeichnet und geartet iſt. Nur durch
eine ſolche genetiſche Anſicht kommt Licht in das
Chacs von Thatſachen und Ueberlieferungen und
wohl oder uͤbel begruͤndeten Meinungen, welches
wir alte Geſchichte nennen.

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[171/0190] deren gewoͤhnlicher und gleichſam natuͤrlicher Lauf faſt immer nach Nordweſten gerichtet war, hier vom Oſten und vom Suͤden her zuſammentraf, hier alſo die Miſchung am mannichfaltigſten und fruchtbarſten, und dieſer Erdſtrich wirklich die Staͤtte war, wo von Alters her Nationen ent- ſtanden und ſich bildeten. Man wird nie eine klare und verſtaͤndliche Anſicht der aͤlteſten Geſchichte erhalten, ſo lange man die Wanderungen der Voͤlker nur als ein Draͤngen und Stoßen, wie nach blos mechaniſchen Geſetzen betrachtet, ohne zugleich auf die Bedin- gungen Ruͤckſicht zu nehmen, wodurch ein großer Stamm ſich in mehre kleine theilen, und im- mer individueller abſondern und entwickeln mag, oder wie auch durch Miſchung aus mehren ver- ſchiedenen Voͤlkern ein drittes ganz neues ent- ſtehen kann, das in Sprache und Charakter eigen- thuͤmlich gezeichnet und geartet iſt. Nur durch eine ſolche genetiſche Anſicht kommt Licht in das Chacs von Thatſachen und Ueberlieferungen und wohl oder uͤbel begruͤndeten Meinungen, welches wir alte Geſchichte nennen.

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/190>, abgerufen am 22.11.2024.