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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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persischen Reich, längst dem Gihon und Euphrates
am Kaukasus und in Kleinasien, überhaupt in
dem mittlern westlichen Strich jenes alten Welt-
theiles Statt fand. Wenn es im Kreise dieser
Untersuchung läge, diese Sache vollständig ins
Licht zu setzen, so würden wir uns zu zeigen be-
mühen, wie durch Wanderung allein neue Völker
entstehen können; wie nehmlich plötzliche Verän-
derung des Clima's und des ganzen äussern Le-
bens auch in Sprache und Sitten eine große
Revolution hervorbringen müsse, und wenn einige
Mischung mit Stämmen andern Geschlechts hin-
zukömmt, eine wirklich neue Nation daraus werde
von ganz eigenthümlichem Charakter und indivi-
duellem Gepräge, das, wenn der Moment der
Gährung und des Entstehens einmal vorüber ist,
sich nun Jahrtausende fast unverändert erhalten
kann. Es würde sich alsdenn bestimmen lassen,
mit welchem Recht Mittelasien von den Geschicht-
forschern so oft als die Mutter und unversiegliche
Quelle immer von dort auswandernder Völker
betrachtet und geschildert worden, und in wiefern
und in welchem Sinne dieß wirklich gegründet
sei, da der zweifache Strom der Wanderung,

perſiſchen Reich, laͤngſt dem Gihon und Euphrates
am Kaukaſus und in Kleinaſien, uͤberhaupt in
dem mittlern weſtlichen Strich jenes alten Welt-
theiles Statt fand. Wenn es im Kreiſe dieſer
Unterſuchung laͤge, dieſe Sache vollſtaͤndig ins
Licht zu ſetzen, ſo wuͤrden wir uns zu zeigen be-
muͤhen, wie durch Wanderung allein neue Voͤlker
entſtehen koͤnnen; wie nehmlich ploͤtzliche Veraͤn-
derung des Clima’s und des ganzen aͤuſſern Le-
bens auch in Sprache und Sitten eine große
Revolution hervorbringen muͤſſe, und wenn einige
Miſchung mit Staͤmmen andern Geſchlechts hin-
zukoͤmmt, eine wirklich neue Nation daraus werde
von ganz eigenthuͤmlichem Charakter und indivi-
duellem Gepraͤge, das, wenn der Moment der
Gaͤhrung und des Entſtehens einmal voruͤber iſt,
ſich nun Jahrtauſende faſt unveraͤndert erhalten
kann. Es wuͤrde ſich alsdenn beſtimmen laſſen,
mit welchem Recht Mittelaſien von den Geſchicht-
forſchern ſo oft als die Mutter und unverſiegliche
Quelle immer von dort auswandernder Voͤlker
betrachtet und geſchildert worden, und in wiefern
und in welchem Sinne dieß wirklich gegruͤndet
ſei, da der zweifache Strom der Wanderung,

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[170/0189] perſiſchen Reich, laͤngſt dem Gihon und Euphrates am Kaukaſus und in Kleinaſien, uͤberhaupt in dem mittlern weſtlichen Strich jenes alten Welt- theiles Statt fand. Wenn es im Kreiſe dieſer Unterſuchung laͤge, dieſe Sache vollſtaͤndig ins Licht zu ſetzen, ſo wuͤrden wir uns zu zeigen be- muͤhen, wie durch Wanderung allein neue Voͤlker entſtehen koͤnnen; wie nehmlich ploͤtzliche Veraͤn- derung des Clima’s und des ganzen aͤuſſern Le- bens auch in Sprache und Sitten eine große Revolution hervorbringen muͤſſe, und wenn einige Miſchung mit Staͤmmen andern Geſchlechts hin- zukoͤmmt, eine wirklich neue Nation daraus werde von ganz eigenthuͤmlichem Charakter und indivi- duellem Gepraͤge, das, wenn der Moment der Gaͤhrung und des Entſtehens einmal voruͤber iſt, ſich nun Jahrtauſende faſt unveraͤndert erhalten kann. Es wuͤrde ſich alsdenn beſtimmen laſſen, mit welchem Recht Mittelaſien von den Geſchicht- forſchern ſo oft als die Mutter und unverſiegliche Quelle immer von dort auswandernder Voͤlker betrachtet und geſchildert worden, und in wiefern und in welchem Sinne dieß wirklich gegruͤndet ſei, da der zweifache Strom der Wanderung,

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/189>, abgerufen am 07.05.2024.