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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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Zerstörung aufgefaßt, bald als Zeugungskraft der
Natur als eines unendlichen Thieres, bietet uns
der Dienst des Sivo, und der furchtbare Dur-
ga
, Bilder des Todes und der Wollust, blutige
Menschenopfer und bakchantische Zügellosigkeit in
einem grausen Gemisch dar. Was diesen Natur-
dienst und Materialismus so schrecklich macht, und
von der bloßen Sinnlichkeit mancher Völker im
Zustande der einfachsten Wildheit noch so sehr
unterscheidet, dürfte gerade die beigemischte und
überall einverwebte Idee des Unendlichen sein,
die noch auf den bessern Ursprung zurück deutet;
denn grade das Höchste und Edelste wird immer,
wenn es verwildert und entartet, zur schrecklichsten
Misgestalt.

Es hat sich dieser Naturdienst so weit ver-
breitet, daß wir uns nur auf einige Andeutungen
des wichtigsten beschränken müssen. Alle jene
Götter, denen so ausschließlich durch Menschen-
opfer gehuldigt ward, verrathen dadurch und
durch manche andre Züge, ihre Verwandtschaft
mit dem indischen Sivo und der Kali; von der
Art sind der Baal und Moloch der syrischen und
punischen Völker; wie überhaupt dieser wilde

Zerſtoͤrung aufgefaßt, bald als Zeugungskraft der
Natur als eines unendlichen Thieres, bietet uns
der Dienſt des Sivo, und der furchtbare Dur-
ga
, Bilder des Todes und der Wolluſt, blutige
Menſchenopfer und bakchantiſche Zuͤgelloſigkeit in
einem grauſen Gemiſch dar. Was dieſen Natur-
dienſt und Materialismus ſo ſchrecklich macht, und
von der bloßen Sinnlichkeit mancher Voͤlker im
Zuſtande der einfachſten Wildheit noch ſo ſehr
unterſcheidet, duͤrfte gerade die beigemiſchte und
uͤberall einverwebte Idee des Unendlichen ſein,
die noch auf den beſſern Urſprung zuruͤck deutet;
denn grade das Hoͤchſte und Edelſte wird immer,
wenn es verwildert und entartet, zur ſchrecklichſten
Misgeſtalt.

Es hat ſich dieſer Naturdienſt ſo weit ver-
breitet, daß wir uns nur auf einige Andeutungen
des wichtigſten beſchraͤnken muͤſſen. Alle jene
Goͤtter, denen ſo ausſchließlich durch Menſchen-
opfer gehuldigt ward, verrathen dadurch und
durch manche andre Zuͤge, ihre Verwandtſchaft
mit dem indiſchen Sivo und der Kali; von der
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[119/0138] Zerſtoͤrung aufgefaßt, bald als Zeugungskraft der Natur als eines unendlichen Thieres, bietet uns der Dienſt des Sivo, und der furchtbare Dur- ga, Bilder des Todes und der Wolluſt, blutige Menſchenopfer und bakchantiſche Zuͤgelloſigkeit in einem grauſen Gemiſch dar. Was dieſen Natur- dienſt und Materialismus ſo ſchrecklich macht, und von der bloßen Sinnlichkeit mancher Voͤlker im Zuſtande der einfachſten Wildheit noch ſo ſehr unterſcheidet, duͤrfte gerade die beigemiſchte und uͤberall einverwebte Idee des Unendlichen ſein, die noch auf den beſſern Urſprung zuruͤck deutet; denn grade das Hoͤchſte und Edelſte wird immer, wenn es verwildert und entartet, zur ſchrecklichſten Misgeſtalt. Es hat ſich dieſer Naturdienſt ſo weit ver- breitet, daß wir uns nur auf einige Andeutungen des wichtigſten beſchraͤnken muͤſſen. Alle jene Goͤtter, denen ſo ausſchließlich durch Menſchen- opfer gehuldigt ward, verrathen dadurch und durch manche andre Zuͤge, ihre Verwandtſchaft mit dem indiſchen Sivo und der Kali; von der Art ſind der Baal und Moloch der ſyriſchen und puniſchen Voͤlker; wie uͤberhaupt dieſer wilde

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/138>, abgerufen am 22.11.2024.