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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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tretenden Glauben anschliessen wie man will, im
Grunde doch, wenn man dem verderblichen Prin-
cip nur getreu bleibt, die Handlungen des Men-
schen für gleichgültig, und der ewige Unterschied
zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Un-
recht, ganz aufgehoben, und für nichtig erklärt
werden muß. Ganz anders in dem System der
Emanation, wo vielmehr alles Dasein für un-
seelig, und die Welt selbst für im Innersten ver-
derbt und böse gehalten wird, weil es doch alles
nichts ist, als ein trauriges Herabsinken von der
vollkommnen Seeligkeit des göttlichen Wesens.

Auf dialektische Weise gegen die philosophi-
sche Richtigkeit dieses Systems zu streiten, dürfte
sich nicht der Mühe verlohnen; denn auf Grün-
den der Art, auf Demonstrationen, beruht es
nicht, hat vielmehr ganz die Form willkührlicher
Erdichtung, so gut wie andre bloß dichterische
Kosmogonien. Ein System kann es aber doch
wohl genannt werden, denn es ist tiefer Zusam-
menhang darin, und diesem verdankt es vielleicht
einen Theil der Gewißheit, die es für seine An-
hänger seit Jahrtausenden mit sich führt, noch
mehr der uralten Ueberlieferung und dem angeb-

tretenden Glauben anſchlieſſen wie man will, im
Grunde doch, wenn man dem verderblichen Prin-
cip nur getreu bleibt, die Handlungen des Men-
ſchen fuͤr gleichguͤltig, und der ewige Unterſchied
zwiſchen Gut und Boͤſe, zwiſchen Recht und Un-
recht, ganz aufgehoben, und fuͤr nichtig erklaͤrt
werden muß. Ganz anders in dem Syſtem der
Emanation, wo vielmehr alles Daſein fuͤr un-
ſeelig, und die Welt ſelbſt fuͤr im Innerſten ver-
derbt und boͤſe gehalten wird, weil es doch alles
nichts iſt, als ein trauriges Herabſinken von der
vollkommnen Seeligkeit des goͤttlichen Weſens.

Auf dialektiſche Weiſe gegen die philoſophi-
ſche Richtigkeit dieſes Syſtems zu ſtreiten, duͤrfte
ſich nicht der Muͤhe verlohnen; denn auf Gruͤn-
den der Art, auf Demonſtrationen, beruht es
nicht, hat vielmehr ganz die Form willkuͤhrlicher
Erdichtung, ſo gut wie andre bloß dichteriſche
Kosmogonien. Ein Syſtem kann es aber doch
wohl genannt werden, denn es iſt tiefer Zuſam-
menhang darin, und dieſem verdankt es vielleicht
einen Theil der Gewißheit, die es fuͤr ſeine An-
haͤnger ſeit Jahrtauſenden mit ſich fuͤhrt, noch
mehr der uralten Ueberlieferung und dem angeb-

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[98/0117] tretenden Glauben anſchlieſſen wie man will, im Grunde doch, wenn man dem verderblichen Prin- cip nur getreu bleibt, die Handlungen des Men- ſchen fuͤr gleichguͤltig, und der ewige Unterſchied zwiſchen Gut und Boͤſe, zwiſchen Recht und Un- recht, ganz aufgehoben, und fuͤr nichtig erklaͤrt werden muß. Ganz anders in dem Syſtem der Emanation, wo vielmehr alles Daſein fuͤr un- ſeelig, und die Welt ſelbſt fuͤr im Innerſten ver- derbt und boͤſe gehalten wird, weil es doch alles nichts iſt, als ein trauriges Herabſinken von der vollkommnen Seeligkeit des goͤttlichen Weſens. Auf dialektiſche Weiſe gegen die philoſophi- ſche Richtigkeit dieſes Syſtems zu ſtreiten, duͤrfte ſich nicht der Muͤhe verlohnen; denn auf Gruͤn- den der Art, auf Demonſtrationen, beruht es nicht, hat vielmehr ganz die Form willkuͤhrlicher Erdichtung, ſo gut wie andre bloß dichteriſche Kosmogonien. Ein Syſtem kann es aber doch wohl genannt werden, denn es iſt tiefer Zuſam- menhang darin, und dieſem verdankt es vielleicht einen Theil der Gewißheit, die es fuͤr ſeine An- haͤnger ſeit Jahrtauſenden mit ſich fuͤhrt, noch mehr der uralten Ueberlieferung und dem angeb-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/117>, abgerufen am 30.04.2024.