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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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Meinung, daß sie nemlich an diesen Edelmuth nicht glauben, ihnen erscheint diese Einsicht, die ihnen nur natürlich vorkommen sollte, so wichtig, sie messen sich ewig nach dem, was leider die Menschen sind, nie nach dem, was sie seyn sollen, so daß durch diese Eitelkeit auch die bessern Gemüther in sich verderben. Sie werden so schwach, sich von der Verehrung derer, die sie verachten, emporgehoben zu fühlen und stoßen sich nicht einmal an die Lächerlichkeit des Widerspruchs, daß sie die Achtung, die sie zu erkaufen wünschen, nach ihrer eigenen Einsicht verachten müssen.

Es ist zu beklagen, daß wir den Menschen immer nur in Beziehung auf andere, nie in Beziehung auf uns verstehen können. Selten wird uns sein Betragen gegen andere so ungerecht, so zweideutig vorkommen, als die kleinen Verletzungen gegen uns, nicht aus dem gemeinen Egoismus, wie es oft erklärt ist, dem jeder unterworfen seyn soll, sondern weil wir den Menschen in Beziehung auf uns nicht wie ein Kunstwerk betrachten können, da wir, indem er sich durch diese Beziehung erklärt, selbst ein Rad der Maschine sind, und also den Gang derselben nicht beobachten können.

Es giebt keine durchaus wahre Wahrheit und keinen durchaus falschen Jrrthum, man sollte überhaupt keine Sache mit einem von beiden Nahmen stempeln; denn beide werden es nur durch die Anwendung, und so ist es sehr möglich, daß das was in der Seele des einen der abgeschmackteste Jrrthum ist, in eines andern Gemüth eine ehrwürdige Wahrheit wird.

Es ist nichts großes das Feld zu bauen, und in

Meinung, daß sie nemlich an diesen Edelmuth nicht glauben, ihnen erscheint diese Einsicht, die ihnen nur natuͤrlich vorkommen sollte, so wichtig, sie messen sich ewig nach dem, was leider die Menschen sind, nie nach dem, was sie seyn sollen, so daß durch diese Eitelkeit auch die bessern Gemuͤther in sich verderben. Sie werden so schwach, sich von der Verehrung derer, die sie verachten, emporgehoben zu fuͤhlen und stoßen sich nicht einmal an die Laͤcherlichkeit des Widerspruchs, daß sie die Achtung, die sie zu erkaufen wuͤnschen, nach ihrer eigenen Einsicht verachten muͤssen.

Es ist zu beklagen, daß wir den Menschen immer nur in Beziehung auf andere, nie in Beziehung auf uns verstehen koͤnnen. Selten wird uns sein Betragen gegen andere so ungerecht, so zweideutig vorkommen, als die kleinen Verletzungen gegen uns, nicht aus dem gemeinen Egoismus, wie es oft erklaͤrt ist, dem jeder unterworfen seyn soll, sondern weil wir den Menschen in Beziehung auf uns nicht wie ein Kunstwerk betrachten koͤnnen, da wir, indem er sich durch diese Beziehung erklaͤrt, selbst ein Rad der Maschine sind, und also den Gang derselben nicht beobachten koͤnnen.

Es giebt keine durchaus wahre Wahrheit und keinen durchaus falschen Jrrthum, man sollte uͤberhaupt keine Sache mit einem von beiden Nahmen stempeln; denn beide werden es nur durch die Anwendung, und so ist es sehr moͤglich, daß das was in der Seele des einen der abgeschmackteste Jrrthum ist, in eines andern Gemuͤth eine ehrwuͤrdige Wahrheit wird.

Es ist nichts großes das Feld zu bauen, und in

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[213/0225] Meinung, daß sie nemlich an diesen Edelmuth nicht glauben, ihnen erscheint diese Einsicht, die ihnen nur natuͤrlich vorkommen sollte, so wichtig, sie messen sich ewig nach dem, was leider die Menschen sind, nie nach dem, was sie seyn sollen, so daß durch diese Eitelkeit auch die bessern Gemuͤther in sich verderben. Sie werden so schwach, sich von der Verehrung derer, die sie verachten, emporgehoben zu fuͤhlen und stoßen sich nicht einmal an die Laͤcherlichkeit des Widerspruchs, daß sie die Achtung, die sie zu erkaufen wuͤnschen, nach ihrer eigenen Einsicht verachten muͤssen. Es ist zu beklagen, daß wir den Menschen immer nur in Beziehung auf andere, nie in Beziehung auf uns verstehen koͤnnen. Selten wird uns sein Betragen gegen andere so ungerecht, so zweideutig vorkommen, als die kleinen Verletzungen gegen uns, nicht aus dem gemeinen Egoismus, wie es oft erklaͤrt ist, dem jeder unterworfen seyn soll, sondern weil wir den Menschen in Beziehung auf uns nicht wie ein Kunstwerk betrachten koͤnnen, da wir, indem er sich durch diese Beziehung erklaͤrt, selbst ein Rad der Maschine sind, und also den Gang derselben nicht beobachten koͤnnen. Es giebt keine durchaus wahre Wahrheit und keinen durchaus falschen Jrrthum, man sollte uͤberhaupt keine Sache mit einem von beiden Nahmen stempeln; denn beide werden es nur durch die Anwendung, und so ist es sehr moͤglich, daß das was in der Seele des einen der abgeschmackteste Jrrthum ist, in eines andern Gemuͤth eine ehrwuͤrdige Wahrheit wird. Es ist nichts großes das Feld zu bauen, und in

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/225>, abgerufen am 15.05.2024.