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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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nicht sonderlich, lieber Waller. Erinnern Sie sich des naiven Ausrufs jener morgenländischen Schönen, als eine Europäerin ihr im Reifrocke den Besuch machte: Bist Du das alles selbst? Bey einer schön bekleideten Griechischen Statue wäre die Frage nicht mehr lächerlich. Sie ist wirklich ganz sie selbst, und die Bekleidung kaum von der Person zu unterscheiden. Nicht nur zeichnet sich der Bau der Glieder durch das anschmiegende Gewand hindurch, sondern in seinem Wurf und Fall, seinen Flächen und Falten drückt sich der Charakter der Figur aus, und der beseelende Geist ist bis auf die Oberfläche der nächsten Umgebungen gedrungen. Sehen Sie nur die mehr als lebensgroße weibliche Gestalt dort, die man gewöhnlich Vestalin nennt. Wie das schlichtere Obergewand ihr vom Haupte auf die Schultern und auf das faltige Kleid herunterfällt! Unter dem rechten Ellbogen ist es etwas hinaufgezogen, er ruht in der Höhlung und die Hand greift oben an den Saum des Tuches. Dann geht es umgeschlagen über die linke Brust herauf und fällt von der Schulter hinab, unten wickelt sich die Hand darein. Welch eine heilige Anmuth, welche sittsame Würde ist in dieser Stellung und Tracht! Konnte eins ohne das andre seyn? Konnte sich die innre Reinheit anders als in einer Umhüllung der Sitte und des Anstandes zurückhaltend zeigen?

Waller. Jch lasse mir Jhre Zurechtweisung gefallen, da sie die Schönheiten einer Lieblingsstatue so ins Licht stellt. So könnte die Göttin der Treue oder der Zucht in ihrem Schleier gleichsam ruhen.

nicht sonderlich, lieber Waller. Erinnern Sie sich des naiven Ausrufs jener morgenlaͤndischen Schoͤnen, als eine Europaͤerin ihr im Reifrocke den Besuch machte: Bist Du das alles selbst? Bey einer schoͤn bekleideten Griechischen Statue waͤre die Frage nicht mehr laͤcherlich. Sie ist wirklich ganz sie selbst, und die Bekleidung kaum von der Person zu unterscheiden. Nicht nur zeichnet sich der Bau der Glieder durch das anschmiegende Gewand hindurch, sondern in seinem Wurf und Fall, seinen Flaͤchen und Falten druͤckt sich der Charakter der Figur aus, und der beseelende Geist ist bis auf die Oberflaͤche der naͤchsten Umgebungen gedrungen. Sehen Sie nur die mehr als lebensgroße weibliche Gestalt dort, die man gewoͤhnlich Vestalin nennt. Wie das schlichtere Obergewand ihr vom Haupte auf die Schultern und auf das faltige Kleid herunterfaͤllt! Unter dem rechten Ellbogen ist es etwas hinaufgezogen, er ruht in der Hoͤhlung und die Hand greift oben an den Saum des Tuches. Dann geht es umgeschlagen uͤber die linke Brust herauf und faͤllt von der Schulter hinab, unten wickelt sich die Hand darein. Welch eine heilige Anmuth, welche sittsame Wuͤrde ist in dieser Stellung und Tracht! Konnte eins ohne das andre seyn? Konnte sich die innre Reinheit anders als in einer Umhuͤllung der Sitte und des Anstandes zuruͤckhaltend zeigen?

Waller. Jch lasse mir Jhre Zurechtweisung gefallen, da sie die Schoͤnheiten einer Lieblingsstatue so ins Licht stellt. So koͤnnte die Goͤttin der Treue oder der Zucht in ihrem Schleier gleichsam ruhen.

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[43/0051] nicht sonderlich, lieber Waller. Erinnern Sie sich des naiven Ausrufs jener morgenlaͤndischen Schoͤnen, als eine Europaͤerin ihr im Reifrocke den Besuch machte: Bist Du das alles selbst? Bey einer schoͤn bekleideten Griechischen Statue waͤre die Frage nicht mehr laͤcherlich. Sie ist wirklich ganz sie selbst, und die Bekleidung kaum von der Person zu unterscheiden. Nicht nur zeichnet sich der Bau der Glieder durch das anschmiegende Gewand hindurch, sondern in seinem Wurf und Fall, seinen Flaͤchen und Falten druͤckt sich der Charakter der Figur aus, und der beseelende Geist ist bis auf die Oberflaͤche der naͤchsten Umgebungen gedrungen. Sehen Sie nur die mehr als lebensgroße weibliche Gestalt dort, die man gewoͤhnlich Vestalin nennt. Wie das schlichtere Obergewand ihr vom Haupte auf die Schultern und auf das faltige Kleid herunterfaͤllt! Unter dem rechten Ellbogen ist es etwas hinaufgezogen, er ruht in der Hoͤhlung und die Hand greift oben an den Saum des Tuches. Dann geht es umgeschlagen uͤber die linke Brust herauf und faͤllt von der Schulter hinab, unten wickelt sich die Hand darein. Welch eine heilige Anmuth, welche sittsame Wuͤrde ist in dieser Stellung und Tracht! Konnte eins ohne das andre seyn? Konnte sich die innre Reinheit anders als in einer Umhuͤllung der Sitte und des Anstandes zuruͤckhaltend zeigen? Waller. Jch lasse mir Jhre Zurechtweisung gefallen, da sie die Schoͤnheiten einer Lieblingsstatue so ins Licht stellt. So koͤnnte die Goͤttin der Treue oder der Zucht in ihrem Schleier gleichsam ruhen.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/51>, abgerufen am 24.11.2024.