Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.zeichnen sich doch weniger stark aus. Die beyden Heiligen sinken tiefer in die Wolken, und heben dadurch die Jungfrau; auch der Schatten unter ihren Füßen trägt zu ihrer hohen Leichtigkeit bey. Louise. Wissen Sie, wie mir überhaupt die zwey knieenden Figuren vorkommen? Wie die männliche und weibliche Andacht, und wieder wie die ältere und die jugendliche. Der gute alte Mann zur Rechten der Jungfrau hebt sein Haupt voll Zutrauen zu ihr in die Höhe, während er seine Linke betheuernd auf die Brust legt, und die Rechte zum Bilde herausstreckt, wie um auf etwas zu deuten. Reinhold. Und diese Hände sind vortrefflich gezeichnet. Louise. Die junge Heilige, die so innig und anmuthig die Hände auf der Brust zusammenfaltet, wendet ihr Gesicht mit gesenktem Blick von der Madonna weg, nach ihrer vorderen Schulter herum. Sie ist zu schüchtern, um hinaufzuschauen, zu demüthig und auch mehr mit sich selbst beschäftigt. Der Alte ist kühner als Mann und als Greis: wohin sein Sinn steht, dahin blickt sein Auge; auch scheint er für andre und nicht für sich selbst zu bitten. Das Mädchen flieht in ihr Jnnres zurück und betet um das eigne Seelenheil. Sie hat ein sehr liebliches Köpfchen, recht dazu gemacht, fromme Wünsche und liebende Ergebenheit auszudrücken. Reinhold. Doch ist sie nicht das Vorzüglichste auf dem Bilde. Louise. Eins muß ja wohl zurückstehn, obwohl zeichnen sich doch weniger stark aus. Die beyden Heiligen sinken tiefer in die Wolken, und heben dadurch die Jungfrau; auch der Schatten unter ihren Fuͤßen traͤgt zu ihrer hohen Leichtigkeit bey. Louise. Wissen Sie, wie mir uͤberhaupt die zwey knieenden Figuren vorkommen? Wie die maͤnnliche und weibliche Andacht, und wieder wie die aͤltere und die jugendliche. Der gute alte Mann zur Rechten der Jungfrau hebt sein Haupt voll Zutrauen zu ihr in die Hoͤhe, waͤhrend er seine Linke betheuernd auf die Brust legt, und die Rechte zum Bilde herausstreckt, wie um auf etwas zu deuten. Reinhold. Und diese Haͤnde sind vortrefflich gezeichnet. Louise. Die junge Heilige, die so innig und anmuthig die Haͤnde auf der Brust zusammenfaltet, wendet ihr Gesicht mit gesenktem Blick von der Madonna weg, nach ihrer vorderen Schulter herum. Sie ist zu schuͤchtern, um hinaufzuschauen, zu demuͤthig und auch mehr mit sich selbst beschaͤftigt. Der Alte ist kuͤhner als Mann und als Greis: wohin sein Sinn steht, dahin blickt sein Auge; auch scheint er fuͤr andre und nicht fuͤr sich selbst zu bitten. Das Maͤdchen flieht in ihr Jnnres zuruͤck und betet um das eigne Seelenheil. Sie hat ein sehr liebliches Koͤpfchen, recht dazu gemacht, fromme Wuͤnsche und liebende Ergebenheit auszudruͤcken. Reinhold. Doch ist sie nicht das Vorzuͤglichste auf dem Bilde. Louise. Eins muß ja wohl zuruͤckstehn, obwohl <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0140" n="132"/> zeichnen sich doch weniger stark aus. Die beyden Heiligen sinken tiefer in die Wolken, und heben dadurch die Jungfrau; auch der Schatten unter ihren Fuͤßen traͤgt zu ihrer hohen Leichtigkeit bey.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Wissen Sie, wie mir uͤberhaupt die zwey knieenden Figuren vorkommen? Wie die maͤnnliche und weibliche Andacht, und wieder wie die aͤltere und die jugendliche. Der gute alte Mann zur Rechten der Jungfrau hebt sein Haupt voll Zutrauen zu ihr in die Hoͤhe, waͤhrend er seine Linke betheuernd auf die Brust legt, und die Rechte zum Bilde herausstreckt, wie um auf etwas zu deuten.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Und diese Haͤnde sind vortrefflich gezeichnet.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Die junge Heilige, die so innig und anmuthig die Haͤnde auf der Brust zusammenfaltet, wendet ihr Gesicht mit gesenktem Blick von der Madonna weg, nach ihrer vorderen Schulter herum. Sie ist zu schuͤchtern, um hinaufzuschauen, zu demuͤthig und auch mehr mit sich selbst beschaͤftigt. Der Alte ist kuͤhner als Mann und als Greis: wohin sein Sinn steht, dahin blickt sein Auge; auch scheint er fuͤr andre und nicht fuͤr sich selbst zu bitten. Das Maͤdchen flieht in ihr Jnnres zuruͤck und betet um das eigne Seelenheil. Sie hat ein sehr liebliches Koͤpfchen, recht dazu gemacht, fromme Wuͤnsche und liebende Ergebenheit auszudruͤcken.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Doch ist sie nicht das Vorzuͤglichste auf dem Bilde.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Eins muß ja wohl zuruͤckstehn, obwohl </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [132/0140]
zeichnen sich doch weniger stark aus. Die beyden Heiligen sinken tiefer in die Wolken, und heben dadurch die Jungfrau; auch der Schatten unter ihren Fuͤßen traͤgt zu ihrer hohen Leichtigkeit bey.
Louise. Wissen Sie, wie mir uͤberhaupt die zwey knieenden Figuren vorkommen? Wie die maͤnnliche und weibliche Andacht, und wieder wie die aͤltere und die jugendliche. Der gute alte Mann zur Rechten der Jungfrau hebt sein Haupt voll Zutrauen zu ihr in die Hoͤhe, waͤhrend er seine Linke betheuernd auf die Brust legt, und die Rechte zum Bilde herausstreckt, wie um auf etwas zu deuten.
Reinhold. Und diese Haͤnde sind vortrefflich gezeichnet.
Louise. Die junge Heilige, die so innig und anmuthig die Haͤnde auf der Brust zusammenfaltet, wendet ihr Gesicht mit gesenktem Blick von der Madonna weg, nach ihrer vorderen Schulter herum. Sie ist zu schuͤchtern, um hinaufzuschauen, zu demuͤthig und auch mehr mit sich selbst beschaͤftigt. Der Alte ist kuͤhner als Mann und als Greis: wohin sein Sinn steht, dahin blickt sein Auge; auch scheint er fuͤr andre und nicht fuͤr sich selbst zu bitten. Das Maͤdchen flieht in ihr Jnnres zuruͤck und betet um das eigne Seelenheil. Sie hat ein sehr liebliches Koͤpfchen, recht dazu gemacht, fromme Wuͤnsche und liebende Ergebenheit auszudruͤcken.
Reinhold. Doch ist sie nicht das Vorzuͤglichste auf dem Bilde.
Louise. Eins muß ja wohl zuruͤckstehn, obwohl
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/140 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/140>, abgerufen am 16.02.2025. |