Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Dahin scheint die wenig verstandne Absicht der Unterhaltungen der Ausgewanderten zu gehn. Wunder nimmts gewiß niemand, daß der Sinn für reine Novellen fast nicht mehr existirt. Doch wäre es nicht übel, ihn wieder zu erwecken, da man unter andern die Form der Shakspeareschen Dramen ohne das wohl nie begreifen wird. Jeder Philosoph hat seine veranlassende Punkte, die ihn nicht selten real beschränken, an die er sich akkommodirt u. s. w. Da bleiben denn dunkle Stellen im System für den, welcher es isolirt, und die Philosophie nicht historisch und im Ganzen studirt. Manche verwickelte Streitfragen der modernen Philosophie sind wie die Sagen und Götter der alten Poesie. Sie kommen in jedem System wieder, aber immer verwandelt. Jn den Handlungen und Bestimmungen, welche der gesetzgebenden, ausübenden oder richterlichen Gewalt zur Erreichung ihrer Zwecke unentbehrlich sind, kommt oft etwas absolut Willkührliches vor, welches unvermeidlich ist, und sich aus dem Begriff jener Gewalten nicht ableiten läßt, wozu sie also für sich nicht berechtigt scheinen. Jst die Befugniß dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt, die daher auch nothwendig ein Veto haben müßte, nicht bloß ein Recht des Jnterdikts? Geschehn nicht alle absolut willkührlichen Bestimmungen im Staat kraft der konstitutiven Gewalt? Dahin scheint die wenig verstandne Absicht der Unterhaltungen der Ausgewanderten zu gehn. Wunder nimmts gewiß niemand, daß der Sinn fuͤr reine Novellen fast nicht mehr existirt. Doch waͤre es nicht uͤbel, ihn wieder zu erwecken, da man unter andern die Form der Shakspeareschen Dramen ohne das wohl nie begreifen wird. Jeder Philosoph hat seine veranlassende Punkte, die ihn nicht selten real beschraͤnken, an die er sich akkommodirt u. s. w. Da bleiben denn dunkle Stellen im System fuͤr den, welcher es isolirt, und die Philosophie nicht historisch und im Ganzen studirt. Manche verwickelte Streitfragen der modernen Philosophie sind wie die Sagen und Goͤtter der alten Poesie. Sie kommen in jedem System wieder, aber immer verwandelt. Jn den Handlungen und Bestimmungen, welche der gesetzgebenden, ausuͤbenden oder richterlichen Gewalt zur Erreichung ihrer Zwecke unentbehrlich sind, kommt oft etwas absolut Willkuͤhrliches vor, welches unvermeidlich ist, und sich aus dem Begriff jener Gewalten nicht ableiten laͤßt, wozu sie also fuͤr sich nicht berechtigt scheinen. Jst die Befugniß dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt, die daher auch nothwendig ein Veto haben muͤßte, nicht bloß ein Recht des Jnterdikts? Geschehn nicht alle absolut willkuͤhrlichen Bestimmungen im Staat kraft der konstitutiven Gewalt? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0307" n="118"/> Dahin scheint die wenig verstandne Absicht der Unterhaltungen der Ausgewanderten zu gehn. Wunder nimmts gewiß niemand, daß der Sinn fuͤr reine Novellen fast nicht mehr existirt. Doch waͤre es nicht uͤbel, ihn wieder zu erwecken, da man unter andern die Form der Shakspeareschen Dramen ohne das wohl nie begreifen wird.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Jeder Philosoph hat seine veranlassende Punkte, die ihn nicht selten real beschraͤnken, an die er sich akkommodirt u. s. w. Da bleiben denn dunkle Stellen im System fuͤr den, welcher es isolirt, und die Philosophie nicht historisch und im Ganzen studirt. Manche verwickelte Streitfragen der modernen Philosophie sind wie die Sagen und Goͤtter der alten Poesie. Sie kommen in jedem System wieder, aber immer verwandelt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Jn den Handlungen und Bestimmungen, welche der gesetzgebenden, ausuͤbenden oder richterlichen Gewalt zur Erreichung ihrer Zwecke unentbehrlich sind, kommt oft etwas absolut Willkuͤhrliches vor, welches unvermeidlich ist, und sich aus dem Begriff jener Gewalten nicht ableiten laͤßt, wozu sie also fuͤr sich nicht berechtigt scheinen. Jst die Befugniß dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt, die daher auch nothwendig ein Veto haben muͤßte, nicht bloß ein Recht des Jnterdikts? Geschehn nicht alle absolut willkuͤhrlichen Bestimmungen im Staat kraft der konstitutiven Gewalt?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0307]
Dahin scheint die wenig verstandne Absicht der Unterhaltungen der Ausgewanderten zu gehn. Wunder nimmts gewiß niemand, daß der Sinn fuͤr reine Novellen fast nicht mehr existirt. Doch waͤre es nicht uͤbel, ihn wieder zu erwecken, da man unter andern die Form der Shakspeareschen Dramen ohne das wohl nie begreifen wird.
Jeder Philosoph hat seine veranlassende Punkte, die ihn nicht selten real beschraͤnken, an die er sich akkommodirt u. s. w. Da bleiben denn dunkle Stellen im System fuͤr den, welcher es isolirt, und die Philosophie nicht historisch und im Ganzen studirt. Manche verwickelte Streitfragen der modernen Philosophie sind wie die Sagen und Goͤtter der alten Poesie. Sie kommen in jedem System wieder, aber immer verwandelt.
Jn den Handlungen und Bestimmungen, welche der gesetzgebenden, ausuͤbenden oder richterlichen Gewalt zur Erreichung ihrer Zwecke unentbehrlich sind, kommt oft etwas absolut Willkuͤhrliches vor, welches unvermeidlich ist, und sich aus dem Begriff jener Gewalten nicht ableiten laͤßt, wozu sie also fuͤr sich nicht berechtigt scheinen. Jst die Befugniß dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt, die daher auch nothwendig ein Veto haben muͤßte, nicht bloß ein Recht des Jnterdikts? Geschehn nicht alle absolut willkuͤhrlichen Bestimmungen im Staat kraft der konstitutiven Gewalt?
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/307>, abgerufen am 16.02.2025. |