Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Superiorität des Verfassers selbst behaupten, der über seinem Werke ist. Überhaupt wäre es sehr nöthig das Vorlesen zu üben, damit es allgemeiner eingeführt würde, und sehr nöthig es einzuführen, um es desto besser zu üben. Bey uns bleibt die Poesie wenigstens stumm und wer denn doch zum Beyspiel den Wilhelm Meister nie laut gelesen oder lesen gehört hätte, der hat diese Musik nur in den Noten studirt. Viele der ersten Stifter der modernen Physik müssen gar nicht als Philosophen, sondern als Künstler betrachtet werden. Der Jnstinkt spricht dunkel und bildlich. Wird er mißverstanden, so entsteht eine falsche Tendenz. Das widerfährt Zeitaltern und Nazionen nicht seltener als Jndividuen. Es giebt eine Art von Witz, den man wegen seiner Gediegenheit, Ausführlichkeit und Symmetrie den architektonischen nennen möchte. Aeußert er sich satirisch, so giebt das die eigentlichen Sarkasmen. Er muß ordentlich systematisch seyn, und doch auch wieder nicht; bey aller Vollständigkeit muß dennoch etwas zu fehlen scheinen, wie abgerissen. Dieses Barokke dürfte wohl eigentlich den großen Styl im Witz erzeugen. Es spielt eine wichtige Rolle in der Novelle: denn eine Geschichte kann doch nur durch eine solche einzig schöne Seltsamkeit ewig neu bleiben. Superioritaͤt des Verfassers selbst behaupten, der uͤber seinem Werke ist. Überhaupt waͤre es sehr noͤthig das Vorlesen zu uͤben, damit es allgemeiner eingefuͤhrt wuͤrde, und sehr noͤthig es einzufuͤhren, um es desto besser zu uͤben. Bey uns bleibt die Poesie wenigstens stumm und wer denn doch zum Beyspiel den Wilhelm Meister nie laut gelesen oder lesen gehoͤrt haͤtte, der hat diese Musik nur in den Noten studirt. Viele der ersten Stifter der modernen Physik muͤssen gar nicht als Philosophen, sondern als Kuͤnstler betrachtet werden. Der Jnstinkt spricht dunkel und bildlich. Wird er mißverstanden, so entsteht eine falsche Tendenz. Das widerfaͤhrt Zeitaltern und Nazionen nicht seltener als Jndividuen. Es giebt eine Art von Witz, den man wegen seiner Gediegenheit, Ausfuͤhrlichkeit und Symmetrie den architektonischen nennen moͤchte. Aeußert er sich satirisch, so giebt das die eigentlichen Sarkasmen. Er muß ordentlich systematisch seyn, und doch auch wieder nicht; bey aller Vollstaͤndigkeit muß dennoch etwas zu fehlen scheinen, wie abgerissen. Dieses Barokke duͤrfte wohl eigentlich den großen Styl im Witz erzeugen. Es spielt eine wichtige Rolle in der Novelle: denn eine Geschichte kann doch nur durch eine solche einzig schoͤne Seltsamkeit ewig neu bleiben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0306" n="117"/> Superioritaͤt des Verfassers selbst behaupten, der uͤber seinem Werke ist. Überhaupt waͤre es sehr noͤthig das Vorlesen zu uͤben, damit es allgemeiner eingefuͤhrt wuͤrde, und sehr noͤthig es einzufuͤhren, um es desto besser zu uͤben. Bey uns bleibt die Poesie wenigstens stumm und wer denn doch zum Beyspiel den Wilhelm Meister nie laut gelesen oder lesen gehoͤrt haͤtte, der hat diese Musik nur in den Noten studirt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Viele der ersten Stifter der modernen Physik muͤssen gar nicht als Philosophen, sondern als Kuͤnstler betrachtet werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Der Jnstinkt spricht dunkel und bildlich. Wird er mißverstanden, so entsteht eine falsche Tendenz. Das widerfaͤhrt Zeitaltern und Nazionen nicht seltener als Jndividuen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es giebt eine Art von Witz, den man wegen seiner Gediegenheit, Ausfuͤhrlichkeit und Symmetrie den architektonischen nennen moͤchte. Aeußert er sich satirisch, so giebt das die eigentlichen Sarkasmen. Er muß ordentlich systematisch seyn, und doch auch wieder nicht; bey aller Vollstaͤndigkeit muß dennoch etwas zu fehlen scheinen, wie abgerissen. Dieses Barokke duͤrfte wohl eigentlich den großen Styl im Witz erzeugen. Es spielt eine wichtige Rolle in der Novelle: denn eine Geschichte kann doch nur durch eine solche einzig schoͤne Seltsamkeit ewig neu bleiben.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0306]
Superioritaͤt des Verfassers selbst behaupten, der uͤber seinem Werke ist. Überhaupt waͤre es sehr noͤthig das Vorlesen zu uͤben, damit es allgemeiner eingefuͤhrt wuͤrde, und sehr noͤthig es einzufuͤhren, um es desto besser zu uͤben. Bey uns bleibt die Poesie wenigstens stumm und wer denn doch zum Beyspiel den Wilhelm Meister nie laut gelesen oder lesen gehoͤrt haͤtte, der hat diese Musik nur in den Noten studirt.
Viele der ersten Stifter der modernen Physik muͤssen gar nicht als Philosophen, sondern als Kuͤnstler betrachtet werden.
Der Jnstinkt spricht dunkel und bildlich. Wird er mißverstanden, so entsteht eine falsche Tendenz. Das widerfaͤhrt Zeitaltern und Nazionen nicht seltener als Jndividuen.
Es giebt eine Art von Witz, den man wegen seiner Gediegenheit, Ausfuͤhrlichkeit und Symmetrie den architektonischen nennen moͤchte. Aeußert er sich satirisch, so giebt das die eigentlichen Sarkasmen. Er muß ordentlich systematisch seyn, und doch auch wieder nicht; bey aller Vollstaͤndigkeit muß dennoch etwas zu fehlen scheinen, wie abgerissen. Dieses Barokke duͤrfte wohl eigentlich den großen Styl im Witz erzeugen. Es spielt eine wichtige Rolle in der Novelle: denn eine Geschichte kann doch nur durch eine solche einzig schoͤne Seltsamkeit ewig neu bleiben.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/306>, abgerufen am 16.02.2025. |