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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Fichte's Wissenschaftslehre ist eine Philosophie über die Materie der Kantischen Philosophie. Von der Form redet er nicht viel, weil er Meister derselben ist. Wenn aber das Wesen der kritischen Methode darin besteht, daß Theorie des bestimmenden Vermögens und System der bestimmten Gemüthswirkungen in ihr wie Sache und Gedanken in der praestabilirten Harmonie innigst vereinigt sind: so dürfte er wohl auch in der Form ein Kant in der zweyten Potenz und die Wissenschaftslehre weit kritischer seyn, als sie scheint. Vorzüglich die neue Darstellung der Wissenschaftslehre ist immer zugleich Philosophie und Philosophie der Philosophie. Es mag gültige Bedeutungen des Worts Kritisch geben, in welchem es nicht auf jede Fichtische Schrift paßt. Aber bey Fichte muß man, wie er selbst, ohne alle Nebenrücksicht nur auf das Ganze sehen und auf das Eine worauf es eigentlich ankommt; nur so kann man die Jdentität seiner Philosophie mit der Kantischen sehen und begreifen. Auch ist Kritisch wohl etwas, was man nie genug seyn kann.



Wenn der Mensch nicht weiter kommen kann, so hilft er sich mit einem Machtspruche, oder einer Machthandlung, einem raschen Entschluß.



Wer sucht wird zweifeln. Das Genie sagt aber so dreist und sicher, was es in sich vorgehn sieht, weil es nicht in seiner Darstellung und also auch die Darstellung nicht in ihm befangen ist, sondern seine Betrachtung und das Betrachtete frey zusammen zu

Fichte's Wissenschaftslehre ist eine Philosophie uͤber die Materie der Kantischen Philosophie. Von der Form redet er nicht viel, weil er Meister derselben ist. Wenn aber das Wesen der kritischen Methode darin besteht, daß Theorie des bestimmenden Vermoͤgens und System der bestimmten Gemuͤthswirkungen in ihr wie Sache und Gedanken in der praestabilirten Harmonie innigst vereinigt sind: so duͤrfte er wohl auch in der Form ein Kant in der zweyten Potenz und die Wissenschaftslehre weit kritischer seyn, als sie scheint. Vorzuͤglich die neue Darstellung der Wissenschaftslehre ist immer zugleich Philosophie und Philosophie der Philosophie. Es mag guͤltige Bedeutungen des Worts Kritisch geben, in welchem es nicht auf jede Fichtische Schrift paßt. Aber bey Fichte muß man, wie er selbst, ohne alle Nebenruͤcksicht nur auf das Ganze sehen und auf das Eine worauf es eigentlich ankommt; nur so kann man die Jdentitaͤt seiner Philosophie mit der Kantischen sehen und begreifen. Auch ist Kritisch wohl etwas, was man nie genug seyn kann.



Wenn der Mensch nicht weiter kommen kann, so hilft er sich mit einem Machtspruche, oder einer Machthandlung, einem raschen Entschluß.



Wer sucht wird zweifeln. Das Genie sagt aber so dreist und sicher, was es in sich vorgehn sieht, weil es nicht in seiner Darstellung und also auch die Darstellung nicht in ihm befangen ist, sondern seine Betrachtung und das Betrachtete frey zusammen zu

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[77/0266] Fichte's Wissenschaftslehre ist eine Philosophie uͤber die Materie der Kantischen Philosophie. Von der Form redet er nicht viel, weil er Meister derselben ist. Wenn aber das Wesen der kritischen Methode darin besteht, daß Theorie des bestimmenden Vermoͤgens und System der bestimmten Gemuͤthswirkungen in ihr wie Sache und Gedanken in der praestabilirten Harmonie innigst vereinigt sind: so duͤrfte er wohl auch in der Form ein Kant in der zweyten Potenz und die Wissenschaftslehre weit kritischer seyn, als sie scheint. Vorzuͤglich die neue Darstellung der Wissenschaftslehre ist immer zugleich Philosophie und Philosophie der Philosophie. Es mag guͤltige Bedeutungen des Worts Kritisch geben, in welchem es nicht auf jede Fichtische Schrift paßt. Aber bey Fichte muß man, wie er selbst, ohne alle Nebenruͤcksicht nur auf das Ganze sehen und auf das Eine worauf es eigentlich ankommt; nur so kann man die Jdentitaͤt seiner Philosophie mit der Kantischen sehen und begreifen. Auch ist Kritisch wohl etwas, was man nie genug seyn kann. Wenn der Mensch nicht weiter kommen kann, so hilft er sich mit einem Machtspruche, oder einer Machthandlung, einem raschen Entschluß. Wer sucht wird zweifeln. Das Genie sagt aber so dreist und sicher, was es in sich vorgehn sieht, weil es nicht in seiner Darstellung und also auch die Darstellung nicht in ihm befangen ist, sondern seine Betrachtung und das Betrachtete frey zusammen zu

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/266>, abgerufen am 22.11.2024.