Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
IV. Beyträge zur Kritik der neuesten Litteratur.


Deutschland ist unstreitig jetzt die erste unter den schreibenden Mächten Europa's, wenn man auch noch so viel darauf abrechnet, daß sich von der Anzahl der gedruckten Artikel kein sichrer Schluß auf die Masse des Gedruckten ziehn läßt, weil eben die Konkurrenz die Stärke der Auflagen vermindert. Das viele Schreiben, sagt man, kommt vom vielen Lesen, und dieß ist auch bis auf einen gewissen Punkt sehr richtig; aber darüber hinaus möchte beydes in umgekehrtem Verhältnisse gegen einander stehn. Wer viel schreibt, hat desto weniger Zeit zum Lesen. So wie niemand gehört wird, wo alle sprechen, so würde auch, wenn sich einmal alle Leser zu Schreibern konstituirten (eine Revoluzion, zu der wir keinen so großen Schritt zu thun haben, als man vielleicht denkt) jeder darauf reduzirt seyn, von sich selbst gelesen zu werden: er würde in seiner eignen Person Schriftsteller, Beurtheiler und Publikum, die ganze litterarische Welt im Kleinen, vorstellen müßen. Die damit verknüpfte

IV. Beytraͤge zur Kritik der neuesten Litteratur.


Deutschland ist unstreitig jetzt die erste unter den schreibenden Maͤchten Europa's, wenn man auch noch so viel darauf abrechnet, daß sich von der Anzahl der gedruckten Artikel kein sichrer Schluß auf die Masse des Gedruckten ziehn laͤßt, weil eben die Konkurrenz die Staͤrke der Auflagen vermindert. Das viele Schreiben, sagt man, kommt vom vielen Lesen, und dieß ist auch bis auf einen gewissen Punkt sehr richtig; aber daruͤber hinaus moͤchte beydes in umgekehrtem Verhaͤltnisse gegen einander stehn. Wer viel schreibt, hat desto weniger Zeit zum Lesen. So wie niemand gehoͤrt wird, wo alle sprechen, so wuͤrde auch, wenn sich einmal alle Leser zu Schreibern konstituirten (eine Revoluzion, zu der wir keinen so großen Schritt zu thun haben, als man vielleicht denkt) jeder darauf reduzirt seyn, von sich selbst gelesen zu werden: er wuͤrde in seiner eignen Person Schriftsteller, Beurtheiler und Publikum, die ganze litterarische Welt im Kleinen, vorstellen muͤßen. Die damit verknuͤpfte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0152" n="141"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">IV.</hi> <hi rendition="#g">Beytra&#x0364;ge zur Kritik der neuesten Litteratur.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Deutschland ist unstreitig jetzt die erste unter den schreibenden Ma&#x0364;chten Europa's, wenn man auch noch so viel darauf abrechnet, daß sich von der Anzahl der gedruckten Artikel kein sichrer Schluß auf die Masse des Gedruckten ziehn la&#x0364;ßt, weil eben die Konkurrenz die Sta&#x0364;rke der Auflagen vermindert. Das viele Schreiben, sagt man, kommt vom vielen Lesen, und dieß ist auch bis auf einen gewissen Punkt sehr richtig; aber daru&#x0364;ber hinaus mo&#x0364;chte beydes in umgekehrtem Verha&#x0364;ltnisse gegen einander stehn. Wer viel schreibt, hat desto weniger Zeit zum Lesen. So wie niemand geho&#x0364;rt wird, wo alle sprechen, so wu&#x0364;rde auch, wenn sich einmal alle Leser zu Schreibern konstituirten (eine Revoluzion, zu der wir keinen so großen Schritt zu thun haben, als man vielleicht denkt) jeder darauf reduzirt seyn, von sich selbst gelesen zu werden: er wu&#x0364;rde in seiner eignen Person Schriftsteller, Beurtheiler und Publikum, die ganze litterarische Welt im Kleinen, vorstellen mu&#x0364;ßen. Die damit verknu&#x0364;pfte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0152] IV. Beytraͤge zur Kritik der neuesten Litteratur. Deutschland ist unstreitig jetzt die erste unter den schreibenden Maͤchten Europa's, wenn man auch noch so viel darauf abrechnet, daß sich von der Anzahl der gedruckten Artikel kein sichrer Schluß auf die Masse des Gedruckten ziehn laͤßt, weil eben die Konkurrenz die Staͤrke der Auflagen vermindert. Das viele Schreiben, sagt man, kommt vom vielen Lesen, und dieß ist auch bis auf einen gewissen Punkt sehr richtig; aber daruͤber hinaus moͤchte beydes in umgekehrtem Verhaͤltnisse gegen einander stehn. Wer viel schreibt, hat desto weniger Zeit zum Lesen. So wie niemand gehoͤrt wird, wo alle sprechen, so wuͤrde auch, wenn sich einmal alle Leser zu Schreibern konstituirten (eine Revoluzion, zu der wir keinen so großen Schritt zu thun haben, als man vielleicht denkt) jeder darauf reduzirt seyn, von sich selbst gelesen zu werden: er wuͤrde in seiner eignen Person Schriftsteller, Beurtheiler und Publikum, die ganze litterarische Welt im Kleinen, vorstellen muͤßen. Die damit verknuͤpfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/152
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/152>, abgerufen am 18.05.2024.