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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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nachdem so viele andre Dichtarten untergegangen, oder in Mißbildung entartet waren, den Geist der feinsten und edelsten Bildung athmete, und das Schönste und Reizendste was das Leben und die Kunst dieses Zeitalters noch hatte und haben konnte, in zierlichen Formen für die Nachwelt bewahrte. Auch die Priester andrer Dichtarten huldigten ihr nicht selten, und eine Geschichte der Griechischen Elegie würde nur wenige der großen Stifter und Heroen der Poesie nicht nennen dürfen.

Ja so allgemein ist ihr Karakter, so weltbürgerlich ihre Gesinnung, daß sie es ungeachtet ihrer zarten Weichheit doch nicht verschmähte, die härtere Sprache des großen Roms zu reden, ja sogar aus dem südlichen Mutterlande nach Norden zu wandern. Die Römer glaubten in dieser Kunstart den Griechen näher gekommen zu seyn, und sind ihren Vorbildern hier wenigstens treuer geblieben als in vielen andern Fächern. Unter den Deutschen der jetzigen Zeit hat man das klassische Metrum derselben nachgebildet, und ein Dichter, von dem es nie entschieden werden kann, ob er größer oder liebenswürdiger sey, hat zu seinen frühern unverwelklichen Lorbern auch den Namen eines Wiederherstellers der alten Elegie gesellt.

Sie ist nun nicht mehr bloß eine schöne Antiquität: sie ist hier einheimisch, und lebt unter uns. Wer mag, dieses Wunder vor Augen, misbilligen, wenn jemand glaubte, keine Bestimmung sey der Elegie zu groß, und sich in Vermuthungen über alle die Metamorphosen verlöhre, welche ihr auch die Zukunft wohl

nachdem so viele andre Dichtarten untergegangen, oder in Mißbildung entartet waren, den Geist der feinsten und edelsten Bildung athmete, und das Schoͤnste und Reizendste was das Leben und die Kunst dieses Zeitalters noch hatte und haben konnte, in zierlichen Formen fuͤr die Nachwelt bewahrte. Auch die Priester andrer Dichtarten huldigten ihr nicht selten, und eine Geschichte der Griechischen Elegie wuͤrde nur wenige der großen Stifter und Heroen der Poesie nicht nennen duͤrfen.

Ja so allgemein ist ihr Karakter, so weltbuͤrgerlich ihre Gesinnung, daß sie es ungeachtet ihrer zarten Weichheit doch nicht verschmaͤhte, die haͤrtere Sprache des großen Roms zu reden, ja sogar aus dem suͤdlichen Mutterlande nach Norden zu wandern. Die Roͤmer glaubten in dieser Kunstart den Griechen naͤher gekommen zu seyn, und sind ihren Vorbildern hier wenigstens treuer geblieben als in vielen andern Faͤchern. Unter den Deutschen der jetzigen Zeit hat man das klassische Metrum derselben nachgebildet, und ein Dichter, von dem es nie entschieden werden kann, ob er groͤßer oder liebenswuͤrdiger sey, hat zu seinen fruͤhern unverwelklichen Lorbern auch den Namen eines Wiederherstellers der alten Elegie gesellt.

Sie ist nun nicht mehr bloß eine schoͤne Antiquitaͤt: sie ist hier einheimisch, und lebt unter uns. Wer mag, dieses Wunder vor Augen, misbilligen, wenn jemand glaubte, keine Bestimmung sey der Elegie zu groß, und sich in Vermuthungen uͤber alle die Metamorphosen verloͤhre, welche ihr auch die Zukunft wohl

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[108/0119] nachdem so viele andre Dichtarten untergegangen, oder in Mißbildung entartet waren, den Geist der feinsten und edelsten Bildung athmete, und das Schoͤnste und Reizendste was das Leben und die Kunst dieses Zeitalters noch hatte und haben konnte, in zierlichen Formen fuͤr die Nachwelt bewahrte. Auch die Priester andrer Dichtarten huldigten ihr nicht selten, und eine Geschichte der Griechischen Elegie wuͤrde nur wenige der großen Stifter und Heroen der Poesie nicht nennen duͤrfen. Ja so allgemein ist ihr Karakter, so weltbuͤrgerlich ihre Gesinnung, daß sie es ungeachtet ihrer zarten Weichheit doch nicht verschmaͤhte, die haͤrtere Sprache des großen Roms zu reden, ja sogar aus dem suͤdlichen Mutterlande nach Norden zu wandern. Die Roͤmer glaubten in dieser Kunstart den Griechen naͤher gekommen zu seyn, und sind ihren Vorbildern hier wenigstens treuer geblieben als in vielen andern Faͤchern. Unter den Deutschen der jetzigen Zeit hat man das klassische Metrum derselben nachgebildet, und ein Dichter, von dem es nie entschieden werden kann, ob er groͤßer oder liebenswuͤrdiger sey, hat zu seinen fruͤhern unverwelklichen Lorbern auch den Namen eines Wiederherstellers der alten Elegie gesellt. Sie ist nun nicht mehr bloß eine schoͤne Antiquitaͤt: sie ist hier einheimisch, und lebt unter uns. Wer mag, dieses Wunder vor Augen, misbilligen, wenn jemand glaubte, keine Bestimmung sey der Elegie zu groß, und sich in Vermuthungen uͤber alle die Metamorphosen verloͤhre, welche ihr auch die Zukunft wohl

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/119>, abgerufen am 24.11.2024.