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Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792.

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Conde oder Coligny an ihrer Spize gesehen, ohne die Auflage des zehnten und zwanzigsten Pfennings hätte der Stuhl zu Rom nie die vereinigten Niederlande verloren. Die Regenten kämpften zu ihrer Selbstvertheidigung oder Vergrößerung; der Religionsenthusiasmus warb ihnen die Armeen, und öffnete ihnen die Schäze ihres Volks. Der große Haufe, wo ihn nicht Hoffnung der Beute unter ihre Fahnen lockte, glaubte für die Wahrheit sein Blut zu vergiessen, indem er es zum Vortheil seines Fürsten versprüzte.

Und Wohlthat genug für die Völker, daß dießmal der Vortheil der Fürsten Hand in Hand mit dem ihrigen gieng! Diesem Zufall allein haben sie ihre Befreyung vom Pabstthum zu danken. Glück genug für die Fürsten, daß der Unterthan für seine eigene Sache stritt, indem er für die ihrige kämpfte! In dem Zeitalter, wovon jetzt die Rede ist, regierte in Europa kein Fürst so absolut, um über den guten Willen seiner Unterthanen hinweg gesezt zu seyn, wenn er seine politischen Entwürfe verfolgte. Aber wie schwer hielt es, diesen guten Willen der Nation für seine politischen Entwürfe zu gewinnen und in Handlung zu sezen! Die nachdrücklichsten Beweggründe, welche von der Staatsraison entlehnt sind, lassen den Unterthan kalt, der sie selten einsieht, und den sie noch seltner interessiren. In diesem Fall bleibt einem staatsklugen Regenten nichts übrig, als das Interesse des Kabinets an irgend ein andres Interesse, das dem Volke näher liegt, anzuknüpfen, wenn etwa ein solches schon vorhanden ist, oder wenn es nicht ist, es zu erschaffen.

Dieß war der Fall, worin sich ein grosser Theil derjenigen Regenten befanden, die für die Reformation handelnd aufgetretten sind. Durch eine sonderbare Verkettung der Dinge mußte es sich fügen, daß die Kirchentrennung mit zwey politischen Umständen

Conde oder Coligny an ihrer Spize gesehen, ohne die Auflage des zehnten und zwanzigsten Pfennings hätte der Stuhl zu Rom nie die vereinigten Niederlande verloren. Die Regenten kämpften zu ihrer Selbstvertheidigung oder Vergrößerung; der Religionsenthusiasmus warb ihnen die Armeen, und öffnete ihnen die Schäze ihres Volks. Der große Haufe, wo ihn nicht Hoffnung der Beute unter ihre Fahnen lockte, glaubte für die Wahrheit sein Blut zu vergiessen, indem er es zum Vortheil seines Fürsten versprüzte.

Und Wohlthat genug für die Völker, daß dießmal der Vortheil der Fürsten Hand in Hand mit dem ihrigen gieng! Diesem Zufall allein haben sie ihre Befreyung vom Pabstthum zu danken. Glück genug für die Fürsten, daß der Unterthan für seine eigene Sache stritt, indem er für die ihrige kämpfte! In dem Zeitalter, wovon jetzt die Rede ist, regierte in Europa kein Fürst so absolut, um über den guten Willen seiner Unterthanen hinweg gesezt zu seyn, wenn er seine politischen Entwürfe verfolgte. Aber wie schwer hielt es, diesen guten Willen der Nation für seine politischen Entwürfe zu gewinnen und in Handlung zu sezen! Die nachdrücklichsten Beweggründe, welche von der Staatsraison entlehnt sind, lassen den Unterthan kalt, der sie selten einsieht, und den sie noch seltner interessiren. In diesem Fall bleibt einem staatsklugen Regenten nichts übrig, als das Interesse des Kabinets an irgend ein andres Interesse, das dem Volke näher liegt, anzuknüpfen, wenn etwa ein solches schon vorhanden ist, oder wenn es nicht ist, es zu erschaffen.

Dieß war der Fall, worin sich ein grosser Theil derjenigen Regenten befanden, die für die Reformation handelnd aufgetretten sind. Durch eine sonderbare Verkettung der Dinge mußte es sich fügen, daß die Kirchentrennung mit zwey politischen Umständen

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[4/0012] Conde oder Coligny an ihrer Spize gesehen, ohne die Auflage des zehnten und zwanzigsten Pfennings hätte der Stuhl zu Rom nie die vereinigten Niederlande verloren. Die Regenten kämpften zu ihrer Selbstvertheidigung oder Vergrößerung; der Religionsenthusiasmus warb ihnen die Armeen, und öffnete ihnen die Schäze ihres Volks. Der große Haufe, wo ihn nicht Hoffnung der Beute unter ihre Fahnen lockte, glaubte für die Wahrheit sein Blut zu vergiessen, indem er es zum Vortheil seines Fürsten versprüzte. Und Wohlthat genug für die Völker, daß dießmal der Vortheil der Fürsten Hand in Hand mit dem ihrigen gieng! Diesem Zufall allein haben sie ihre Befreyung vom Pabstthum zu danken. Glück genug für die Fürsten, daß der Unterthan für seine eigene Sache stritt, indem er für die ihrige kämpfte! In dem Zeitalter, wovon jetzt die Rede ist, regierte in Europa kein Fürst so absolut, um über den guten Willen seiner Unterthanen hinweg gesezt zu seyn, wenn er seine politischen Entwürfe verfolgte. Aber wie schwer hielt es, diesen guten Willen der Nation für seine politischen Entwürfe zu gewinnen und in Handlung zu sezen! Die nachdrücklichsten Beweggründe, welche von der Staatsraison entlehnt sind, lassen den Unterthan kalt, der sie selten einsieht, und den sie noch seltner interessiren. In diesem Fall bleibt einem staatsklugen Regenten nichts übrig, als das Interesse des Kabinets an irgend ein andres Interesse, das dem Volke näher liegt, anzuknüpfen, wenn etwa ein solches schon vorhanden ist, oder wenn es nicht ist, es zu erschaffen. Dieß war der Fall, worin sich ein grosser Theil derjenigen Regenten befanden, die für die Reformation handelnd aufgetretten sind. Durch eine sonderbare Verkettung der Dinge mußte es sich fügen, daß die Kirchentrennung mit zwey politischen Umständen

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_krieg_1792/12>, abgerufen am 25.04.2024.