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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Zweytes Buch.

Nicht lange nach diesen leztern Begebenheiten --
fährt der Graf von O** zu erzählen fort --
fing ich an, in dem Gemüth des Prinzen eine wich¬
tige Veränderung zu bemerken, die theils eine un¬
mittelbare Folge des leztern Vorfalls war, theils
auch durch den Zusammenfluß mehrerer zufälliger
Umstände hervorgebracht worden. Bis jezt nehm¬
lich hatte der Prinz jede strengere Prüfung seines
Glaubens vermieden, und sich damit begnügt, die
rohen und sinnlichen Religionsbegriffe, in denen er
auferzogen worden, durch die bessern Ideen, die
sich ihm nachher aufdrangen, zu reinigen, oder
mit diesen auszugleichen, ohne die Fundamente sei¬
nes Glaubens zu untersuchen. Religionsgegen¬
stände überhaupt, gestand er mir mehrmals, seyen
ihm jederzeit wie ein bezaubertes Schloß vorgekom¬
men, in das man nicht ohne Grauen seinen Fuß
setze, und man thue weit besser, man gehe mit ehr¬
erbietiger Resignation daran vorüber, ohne sich
der Gefahr auszusetzen, sich in seinen Labyrinthen
zu verirren. Eine bigotte, knechtische Erziehung
war die Quelle dieser Furcht; diese hatte seinem
zarten Gehirne Schreckbilder eingedrückt, von de¬

nen
Zweytes Buch.

Nicht lange nach dieſen leztern Begebenheiten —
fährt der Graf von O** zu erzählen fort —
fing ich an, in dem Gemüth des Prinzen eine wich¬
tige Veränderung zu bemerken, die theils eine un¬
mittelbare Folge des leztern Vorfalls war, theils
auch durch den Zuſammenfluß mehrerer zufälliger
Umſtände hervorgebracht worden. Bis jezt nehm¬
lich hatte der Prinz jede ſtrengere Prüfung ſeines
Glaubens vermieden, und ſich damit begnügt, die
rohen und ſinnlichen Religionsbegriffe, in denen er
auferzogen worden, durch die beſſern Ideen, die
ſich ihm nachher aufdrangen, zu reinigen, oder
mit dieſen auszugleichen, ohne die Fundamente ſei¬
nes Glaubens zu unterſuchen. Religionsgegen¬
ſtände überhaupt, geſtand er mir mehrmals, ſeyen
ihm jederzeit wie ein bezaubertes Schloß vorgekom¬
men, in das man nicht ohne Grauen ſeinen Fuß
ſetze, und man thue weit beſſer, man gehe mit ehr¬
erbietiger Reſignation daran vorüber, ohne ſich
der Gefahr auszuſetzen, ſich in ſeinen Labyrinthen
zu verirren. Eine bigotte, knechtiſche Erziehung
war die Quelle dieſer Furcht; dieſe hatte ſeinem
zarten Gehirne Schreckbilder eingedrückt, von de¬

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[92/0100] Zweytes Buch. Nicht lange nach dieſen leztern Begebenheiten — fährt der Graf von O** zu erzählen fort — fing ich an, in dem Gemüth des Prinzen eine wich¬ tige Veränderung zu bemerken, die theils eine un¬ mittelbare Folge des leztern Vorfalls war, theils auch durch den Zuſammenfluß mehrerer zufälliger Umſtände hervorgebracht worden. Bis jezt nehm¬ lich hatte der Prinz jede ſtrengere Prüfung ſeines Glaubens vermieden, und ſich damit begnügt, die rohen und ſinnlichen Religionsbegriffe, in denen er auferzogen worden, durch die beſſern Ideen, die ſich ihm nachher aufdrangen, zu reinigen, oder mit dieſen auszugleichen, ohne die Fundamente ſei¬ nes Glaubens zu unterſuchen. Religionsgegen¬ ſtände überhaupt, geſtand er mir mehrmals, ſeyen ihm jederzeit wie ein bezaubertes Schloß vorgekom¬ men, in das man nicht ohne Grauen ſeinen Fuß ſetze, und man thue weit beſſer, man gehe mit ehr¬ erbietiger Reſignation daran vorüber, ohne ſich der Gefahr auszuſetzen, ſich in ſeinen Labyrinthen zu verirren. Eine bigotte, knechtiſche Erziehung war die Quelle dieſer Furcht; dieſe hatte ſeinem zarten Gehirne Schreckbilder eingedrückt, von de¬ nen

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/100>, abgerufen am 24.11.2024.