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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.

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Theresiade
"Durch mich hat sie gelernt, was die gefärbte Treue,
"Was Lieb und Freundlichkeit verstellter Herzen seye.
"Sie kennt, was hier der Mund und dort die Seele spricht.
150"Kein schimmernd Lob-Gepräng verblendet ihr Gesicht.
"Die Scharff-sicht ihres Augs wirckt auch in Finsternissen;
"So werd' ich ihrem Blick durch Wolcken nicht entrissen.
"Durch mich erfährt ihr Herz, was wahre Freunde seynd;
"Sie sieht, wer sie verehrt und liebt; sie kennt den Feind.
155"Ob man mit ihr schon lacht, mit ihr sich auch betrübet;
"So weiß sie doch wer falsch der Freundschaft Zeichen übet.
"Sie lebt nach meinem Rath. Nichts ändert meinen Geist,
"Nichts ist, was ihn von sich und seiner Tugend reißt.
"Jch halte Mund und Herz nach einem Thon gestimmet.
160"Jch lache, wann der Haß nach mir die Lefzen krümmet.
"Der Kummer quält mich nicht, ob ich geliebt, geschäzt,
"Ob ich verachtet sey. Nichts ist, so mich verlezt.
"Ein grauer Nebel-Dunst hemmt oft der Sonne Strahlen;
"So pflegt die Welt mich auch mit Wolcken zu bemahlen.
165"Der Sonne scharffer Blick verdringet und durchbricht
"Die vorgezogne Wand; ihr heiteres Gesicht
"Steigt ungeschwächt empor; so bleib' ich unverdunckelt.
"So wird die Finsternis von mir auch durchgefunckelt;
"Biß sie sich unvermerckt früh oder spät verschleicht,
170"Und meine Wesenheit der hellen Sonne gleicht.
"So
Thereſiade
„Durch mich hat ſie gelernt, was die gefaͤrbte Treue,
„Was Lieb und Freundlichkeit verſtellter Herzen ſeye.
„Sie kennt, was hier der Mund und dort die Seele ſpricht.
150„Kein ſchimmernd Lob-Gepraͤng verblendet ihr Geſicht.
„Die Scharff-ſicht ihres Augs wirckt auch in Finſterniſſen;
„So werd’ ich ihrem Blick durch Wolcken nicht entriſſen.
„Durch mich erfaͤhrt ihr Herz, was wahre Freunde ſeynd;
„Sie ſieht, wer ſie verehrt und liebt; ſie kennt den Feind.
155„Ob man mit ihr ſchon lacht, mit ihr ſich auch betruͤbet;
„So weiß ſie doch wer falſch der Freundſchaft Zeichen uͤbet.
„Sie lebt nach meinem Rath. Nichts aͤndert meinen Geiſt,
„Nichts iſt, was ihn von ſich und ſeiner Tugend reißt.
„Jch halte Mund und Herz nach einem Thon geſtimmet.
160„Jch lache, wann der Haß nach mir die Lefzen kruͤmmet.
„Der Kummer quaͤlt mich nicht, ob ich geliebt, geſchaͤzt,
„Ob ich verachtet ſey. Nichts iſt, ſo mich verlezt.
„Ein grauer Nebel-Dunſt hem̃t oft der Sonne Strahlen;
„So pflegt die Welt mich auch mit Wolcken zu bemahlen.
165„Der Sonne ſcharffer Blick verdringet und durchbricht
„Die vorgezogne Wand; ihr heiteres Geſicht
„Steigt ungeſchwaͤcht empor; ſo bleib’ ich unverdunckelt.
„So wird die Finſternis von mir auch durchgefunckelt;
„Biß ſie ſich unvermerckt fruͤh oder ſpaͤt verſchleicht,
170„Und meine Weſenheit der hellen Sonne gleicht.
„So
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[0070] Thereſiade „Durch mich hat ſie gelernt, was die gefaͤrbte Treue, „Was Lieb und Freundlichkeit verſtellter Herzen ſeye. „Sie kennt, was hier der Mund und dort die Seele ſpricht. „Kein ſchimmernd Lob-Gepraͤng verblendet ihr Geſicht. „Die Scharff-ſicht ihres Augs wirckt auch in Finſterniſſen; „So werd’ ich ihrem Blick durch Wolcken nicht entriſſen. „Durch mich erfaͤhrt ihr Herz, was wahre Freunde ſeynd; „Sie ſieht, wer ſie verehrt und liebt; ſie kennt den Feind. „Ob man mit ihr ſchon lacht, mit ihr ſich auch betruͤbet; „So weiß ſie doch wer falſch der Freundſchaft Zeichen uͤbet. „Sie lebt nach meinem Rath. Nichts aͤndert meinen Geiſt, „Nichts iſt, was ihn von ſich und ſeiner Tugend reißt. „Jch halte Mund und Herz nach einem Thon geſtimmet. „Jch lache, wann der Haß nach mir die Lefzen kruͤmmet. „Der Kummer quaͤlt mich nicht, ob ich geliebt, geſchaͤzt, „Ob ich verachtet ſey. Nichts iſt, ſo mich verlezt. „Ein grauer Nebel-Dunſt hem̃t oft der Sonne Strahlen; „So pflegt die Welt mich auch mit Wolcken zu bemahlen. „Der Sonne ſcharffer Blick verdringet und durchbricht „Die vorgezogne Wand; ihr heiteres Geſicht „Steigt ungeſchwaͤcht empor; ſo bleib’ ich unverdunckelt. „So wird die Finſternis von mir auch durchgefunckelt; „Biß ſie ſich unvermerckt fruͤh oder ſpaͤt verſchleicht, „Und meine Weſenheit der hellen Sonne gleicht. „So

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/70>, abgerufen am 04.05.2024.