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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.

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Eilftes Buch.
"Daß eines Volcks Geschrey die Stimme GOttes sey.
550"Die Art, mit welcher GOtt uns mahnt, ist vielerley.
"Bald läßt er Glück und Trost durch solche Stimmen hoffen;
"Bald wird dadurch das Leid, so gleich erfolgt, getroffen.
"Gewiß ists, daß, dem es an Geist und Wiz gebricht,
"Oft weiser von der Sach, als ein Gelehrter spricht.
555"Warum soll also jezt die Stimme gar nichts gelten?
"Jch sehe nicht, wie du sie billig könnest schelten.
"Jch gebe zu, daß sie oft in der Hoffnung irrt;
"Sich von dem rechten Weeg auf einen Abweeg führt.
"Allein was ist im Buch der Allmacht eingeschrieben?
560"Wer weiß derselben Schluß, wer kennet ihr Belieben?
"Und wie? ist es des Volcks Amt und Obligenheit,
"Daß es Vernunft und Wiz, und solche Fähigkeit
"Wie du, die Weisheit selbst, zu seinem Antheil habe?
"Dieß ist dein Eigenthum, und nicht des Pöbels Gabe.
565
"Hilfft seine Stimme nichts, so zeiget sie doch oft,
"Daß er den Zufall sieht, den er zuvor gehofft.
"Wahr ists: sein Dencken geht nicht nach erleucht'ten Schlüssen;
"Doch hat man oft von ihm die Wahrheit lernen müssen.
"Oft schwingt sich sein Geschrey biß in den Königs-Saal
570"Und ändert, was man dort nach reiffem Rath befahl.
"So muß man solchen Ruff in Werth und Unwerth lassen,
"Und sich auf jenen Fall, von dem er schreyet, fassen.
Hier
T t 2
Eilftes Buch.
„Daß eines Volcks Geſchrey die Stimme GOttes ſey.
550„Die Art, mit welcher GOtt uns mahnt, iſt vielerley.
„Bald laͤßt er Gluͤck und Troſt durch ſolche Stimmen hoffen;
„Bald wird dadurch das Leid, ſo gleich erfolgt, getroffen.
„Gewiß iſts, daß, dem es an Geiſt und Wiz gebricht,
„Oft weiſer von der Sach, als ein Gelehrter ſpricht.
555„Warum ſoll alſo jezt die Stimme gar nichts gelten?
„Jch ſehe nicht, wie du ſie billig koͤnneſt ſchelten.
„Jch gebe zu, daß ſie oft in der Hoffnung irꝛt;
„Sich von dem rechten Weeg auf einen Abweeg fuͤhrt.
„Allein was iſt im Buch der Allmacht eingeſchrieben?
560„Wer weiß derſelben Schluß, wer kennet ihr Belieben?
„Und wie? iſt es des Volcks Amt und Obligenheit,
„Daß es Vernunft und Wiz, und ſolche Faͤhigkeit
„Wie du, die Weisheit ſelbſt, zu ſeinem Antheil habe?
„Dieß iſt dein Eigenthum, und nicht des Poͤbels Gabe.
565
„Hilfft ſeine Stimme nichts, ſo zeiget ſie doch oft,
„Daß er den Zufall ſieht, den er zuvor gehofft.
„Wahr iſts: ſein Dencken geht nicht nach erleucht’ten Schluͤſſen;
„Doch hat man oft von ihm die Wahrheit lernen muͤſſen.
„Oft ſchwingt ſich ſein Geſchrey biß in den Koͤnigs-Saal
570„Und aͤndert, was man dort nach reiffem Rath befahl.
„So muß man ſolchen Ruff in Werth und Unwerth laſſen,
„Und ſich auf jenen Fall, von dem er ſchreyet, faſſen.
Hier
T t 2
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[0141] Eilftes Buch. „Daß eines Volcks Geſchrey die Stimme GOttes ſey. „Die Art, mit welcher GOtt uns mahnt, iſt vielerley. „Bald laͤßt er Gluͤck und Troſt durch ſolche Stimmen hoffen; „Bald wird dadurch das Leid, ſo gleich erfolgt, getroffen. „Gewiß iſts, daß, dem es an Geiſt und Wiz gebricht, „Oft weiſer von der Sach, als ein Gelehrter ſpricht. „Warum ſoll alſo jezt die Stimme gar nichts gelten? „Jch ſehe nicht, wie du ſie billig koͤnneſt ſchelten. „Jch gebe zu, daß ſie oft in der Hoffnung irꝛt; „Sich von dem rechten Weeg auf einen Abweeg fuͤhrt. „Allein was iſt im Buch der Allmacht eingeſchrieben? „Wer weiß derſelben Schluß, wer kennet ihr Belieben? „Und wie? iſt es des Volcks Amt und Obligenheit, „Daß es Vernunft und Wiz, und ſolche Faͤhigkeit „Wie du, die Weisheit ſelbſt, zu ſeinem Antheil habe? „Dieß iſt dein Eigenthum, und nicht des Poͤbels Gabe. „Hilfft ſeine Stimme nichts, ſo zeiget ſie doch oft, „Daß er den Zufall ſieht, den er zuvor gehofft. „Wahr iſts: ſein Dencken geht nicht nach erleucht’ten Schluͤſſen; „Doch hat man oft von ihm die Wahrheit lernen muͤſſen. „Oft ſchwingt ſich ſein Geſchrey biß in den Koͤnigs-Saal „Und aͤndert, was man dort nach reiffem Rath befahl. „So muß man ſolchen Ruff in Werth und Unwerth laſſen, „Und ſich auf jenen Fall, von dem er ſchreyet, faſſen. Hier T t 2

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/141>, abgerufen am 28.04.2024.