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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.

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Theresiade
"Dann, weil sein Eigensinn nur seinem Auge traut,
"So ists, daß er das Blau oft wie das Gelbe schaut.
"Wie viel Mahl hab ich nicht den schärffsten Streich verhindert?
480"Da rieff er: alles Wohl der Länder sey gemindert.
"Er kennt nicht, was er sieht; wie wär ihm dann bewußt
"Was die Geheimnisse der Weisheit leiten mußt?
"Bald steigt er in die Luft; bald kriecht er wie die Schlangen
"Die hundert-köpficht seynd, sich im Gesträuche fangen.
485"Nicht Schlüsse der Vernunft seynd seines Raths Beweis;
"Jm Wohlgefallen nur beruht der Wahrheit Preis.
"Er weis die Triebe nicht, die Nuz und Schaden bringen;
"Er glaubt, man könne sie mit Troz und Hochmuth zwingen.
"Er scheut das Unglück nicht, in dem er oftmahls wanckt;
490"Oft wird von ihm das Heil um Unheil abgedanckt.
"Wann sich sein Wohlergehn soll mit dem Staat verbinden,
"So läßt er sein Gemüth durch Mißtraun überwinden.
"Sein wanckelbares Herz entscheidt nicht, was es will;
"Es seufzt im größten Glück, im Unglück schweigt es still.
495"Von ihm wird weder Gut noch Uebel abgemessen,
"Ein unverhoffter Fall bringt beydes in Vergessen.
"Jhm scheinet ein Gespräch der Weisheit nicht so schön,
"Als eines Froschs Geschwäz, als einer Leyr Gethön.
"Sein blödes Auge schäzt nichts, als was glänzt und funckelt;
500"Er haßt, was ihn erleucht't, liebt was den Sinn verdunckelt.
"Nichts
Thereſiade
„Dann, weil ſein Eigenſinn nur ſeinem Auge traut,
„So iſts, daß er das Blau oft wie das Gelbe ſchaut.
„Wie viel Mahl hab ich nicht den ſchaͤrffſten Streich verhindert?
480„Da rieff er: alles Wohl der Laͤnder ſey gemindert.
„Er kennt nicht, was er ſieht; wie waͤr ihm dann bewußt
„Was die Geheimniſſe der Weisheit leiten mußt?
„Bald ſteigt er in die Luft; bald kriecht er wie die Schlangen
„Die hundert-koͤpficht ſeynd, ſich im Geſtraͤuche fangen.
485„Nicht Schluͤſſe der Vernunft ſeynd ſeines Raths Beweis;
„Jm Wohlgefallen nur beruht der Wahrheit Preis.
„Er weis die Triebe nicht, die Nuz und Schaden bringen;
„Er glaubt, man koͤnne ſie mit Troz und Hochmuth zwingen.
„Er ſcheut das Ungluͤck nicht, in dem er oftmahls wanckt;
490„Oft wird von ihm das Heil um Unheil abgedanckt.
„Wann ſich ſein Wohlergehn ſoll mit dem Staat verbinden,
„So laͤßt er ſein Gemuͤth durch Mißtraun uͤberwinden.
„Sein wanckelbares Herz entſcheidt nicht, was es will;
„Es ſeufzt im groͤßten Gluͤck, im Ungluͤck ſchweigt es ſtill.
495„Von ihm wird weder Gut noch Uebel abgemeſſen,
„Ein unverhoffter Fall bringt beydes in Vergeſſen.
„Jhm ſcheinet ein Geſpraͤch der Weisheit nicht ſo ſchoͤn,
„Als eines Froſchs Geſchwaͤz, als einer Leyr Gethoͤn.
„Sein bloͤdes Auge ſchaͤzt nichts, als was glaͤnzt und funckelt;
500„Er haßt, was ihn erleucht’t, liebt was den Sinn verdunckelt.
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[0138] Thereſiade „Dann, weil ſein Eigenſinn nur ſeinem Auge traut, „So iſts, daß er das Blau oft wie das Gelbe ſchaut. „Wie viel Mahl hab ich nicht den ſchaͤrffſten Streich verhindert? „Da rieff er: alles Wohl der Laͤnder ſey gemindert. „Er kennt nicht, was er ſieht; wie waͤr ihm dann bewußt „Was die Geheimniſſe der Weisheit leiten mußt? „Bald ſteigt er in die Luft; bald kriecht er wie die Schlangen „Die hundert-koͤpficht ſeynd, ſich im Geſtraͤuche fangen. „Nicht Schluͤſſe der Vernunft ſeynd ſeines Raths Beweis; „Jm Wohlgefallen nur beruht der Wahrheit Preis. „Er weis die Triebe nicht, die Nuz und Schaden bringen; „Er glaubt, man koͤnne ſie mit Troz und Hochmuth zwingen. „Er ſcheut das Ungluͤck nicht, in dem er oftmahls wanckt; „Oft wird von ihm das Heil um Unheil abgedanckt. „Wann ſich ſein Wohlergehn ſoll mit dem Staat verbinden, „So laͤßt er ſein Gemuͤth durch Mißtraun uͤberwinden. „Sein wanckelbares Herz entſcheidt nicht, was es will; „Es ſeufzt im groͤßten Gluͤck, im Ungluͤck ſchweigt es ſtill. „Von ihm wird weder Gut noch Uebel abgemeſſen, „Ein unverhoffter Fall bringt beydes in Vergeſſen. „Jhm ſcheinet ein Geſpraͤch der Weisheit nicht ſo ſchoͤn, „Als eines Froſchs Geſchwaͤz, als einer Leyr Gethoͤn. „Sein bloͤdes Auge ſchaͤzt nichts, als was glaͤnzt und funckelt; „Er haßt, was ihn erleucht’t, liebt was den Sinn verdunckelt. „Nichts

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/138>, abgerufen am 28.04.2024.