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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746.

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Theresiade

"Und wollte gern die Noth, in der er war, vergessen,
"Der Körper aber drang für Hunger auf das Essen.

"Das Weib, so mit dem Schwarm sich in die Stadt verschlich,
"Und weder der Gewalt, noch der Verschmähung wich,
435"Hielt nur um Labung an; doch konnt sie nichts erzwingen,

"Ein jeder dachte nur sich selber Trost zu bringen.
"Sie wies die Dürfftigkeit, den Rath, den sie gebracht;
"Allein sie war zum Lohn verspottet und veracht:
"So fiel sie für Begier der Rach in solches Rasen,
440"Daß sie die ganze Stadt mit Mord-Schaum angeblasen.

"Sie schrie, sie grämte sich, zerrisse Schurz und Haar;
"Sie lief und rieff' um Hilff; so fand sich eine Schaar,
"Bey der dies Flehen galt. Was ungestümes Lermen!
"Was klägliches Geheul! was Beben, Toben, Härmen!
445"Bedürfftniß, Zwang und Zorn, Durst, Hunger, Wehmuth, Gram,

"Die waren jener Schuz, bey dem sie Zuflucht nahm.
"Verzweifflung, Pein und Qual vereinten sich dem Haufen,
"Mit diesem sah man sie die ganze Stadt durchlaufen.
"Die Klag nahm überhand; der Jammer mehrte sich,
450"Kein Winckel war, den nicht die Gräßlichkeit durchstrich.
"Die Gäste, die des Stahls Gefährlichkeit entronnen,
"Vermeinten ein Verrath sey wieder sie gesponnen;
"Man floh, man lief, man bog, man grieff auch zum Gewehr,
"Und eilte Schrecken-voll durch alle Gassen her,
455 "Die

Thereſiade

„Und wollte gern die Noth, in der er war, vergeſſen,
„Der Koͤrper aber drang fuͤr Hunger auf das Eſſen.

„Das Weib, ſo mit dem Schwarm ſich in die Stadt verſchlich,
„Und weder der Gewalt, noch der Verſchmaͤhung wich,
435„Hielt nur um Labung an; doch konnt ſie nichts erzwingen,

„Ein jeder dachte nur ſich ſelber Troſt zu bringen.
„Sie wies die Duͤrfftigkeit, den Rath, den ſie gebracht;
„Allein ſie war zum Lohn verſpottet und veracht:
„So fiel ſie fuͤr Begier der Rach in ſolches Raſen,
440„Daß ſie die ganze Stadt mit Mord-Schaum angeblaſen.

„Sie ſchrie, ſie graͤmte ſich, zerriſſe Schurz und Haar;
„Sie lief und rieff’ um Hilff; ſo fand ſich eine Schaar,
„Bey der dies Flehen galt. Was ungeſtuͤmes Lermen!
„Was klaͤgliches Geheul! was Beben, Toben, Haͤrmen!
445„Beduͤrfftniß, Zwang und Zorn, Durſt, Hunger, Wehmuth, Gram,

„Die waren jener Schuz, bey dem ſie Zuflucht nahm.
„Verzweifflung, Pein und Qual vereinten ſich dem Haufen,
„Mit dieſem ſah man ſie die ganze Stadt durchlaufen.
„Die Klag nahm uͤberhand; der Jammer mehrte ſich,
450„Kein Winckel war, den nicht die Graͤßlichkeit durchſtrich.
„Die Gaͤſte, die des Stahls Gefaͤhrlichkeit entronnen,
„Vermeinten ein Verrath ſey wieder ſie geſponnen;
„Man floh, man lief, man bog, man grieff auch zum Gewehr,
„Und eilte Schrecken-voll durch alle Gaſſen her,
455 „Die
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[0135] Thereſiade „Und wollte gern die Noth, in der er war, vergeſſen, „Der Koͤrper aber drang fuͤr Hunger auf das Eſſen. „Das Weib, ſo mit dem Schwarm ſich in die Stadt verſchlich, „Und weder der Gewalt, noch der Verſchmaͤhung wich, „Hielt nur um Labung an; doch konnt ſie nichts erzwingen, „Ein jeder dachte nur ſich ſelber Troſt zu bringen. „Sie wies die Duͤrfftigkeit, den Rath, den ſie gebracht; „Allein ſie war zum Lohn verſpottet und veracht: „So fiel ſie fuͤr Begier der Rach in ſolches Raſen, „Daß ſie die ganze Stadt mit Mord-Schaum angeblaſen. „Sie ſchrie, ſie graͤmte ſich, zerriſſe Schurz und Haar; „Sie lief und rieff’ um Hilff; ſo fand ſich eine Schaar, „Bey der dies Flehen galt. Was ungeſtuͤmes Lermen! „Was klaͤgliches Geheul! was Beben, Toben, Haͤrmen! „Beduͤrfftniß, Zwang und Zorn, Durſt, Hunger, Wehmuth, Gram, „Die waren jener Schuz, bey dem ſie Zuflucht nahm. „Verzweifflung, Pein und Qual vereinten ſich dem Haufen, „Mit dieſem ſah man ſie die ganze Stadt durchlaufen. „Die Klag nahm uͤberhand; der Jammer mehrte ſich, „Kein Winckel war, den nicht die Graͤßlichkeit durchſtrich. „Die Gaͤſte, die des Stahls Gefaͤhrlichkeit entronnen, „Vermeinten ein Verrath ſey wieder ſie geſponnen; „Man floh, man lief, man bog, man grieff auch zum Gewehr, „Und eilte Schrecken-voll durch alle Gaſſen her, 455 „Die

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746/135>, abgerufen am 04.05.2024.