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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746.

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Viertes Buch.

"Allein je mehr man dort mit ihr Erbarmung hatte,
"Je mehr den Flüchtigen derselben Rathen schadte.

"Der Fall verhält sich so, wie man uns angezeigt:
410"Das Weib vermuthete man sey nur ihr geneigt,

"Weil sie fast jedermann, O Elend! hörte schreyen,
"Mithin daß die, so schrien, um sie bekümmert seyen.
"So sagte sie: wer ist, wer hat mich angerufft?
"Jch bin das Elend selbst, und unweit meine Gruft:
415"Dort findet man des Glücks, des Heils, der Freuden Porten,

"(Sie wies auf jene Stadt) sonst seynd fast aller Orten
"Die Weege zu dem Tod. So flohe man hinein,
"Von Feuer, Schwert und Tod allda befreyt zu seyn.
"Das Weib kroch ihnen nach; vielleicht auch Hilff zu finden,
420"Und diesen Krieger-Schwarm zum Beyleid zu verbinden.
"Ein jeder eilte nur zu der gewünschten Stadt:
"Nicht laufen schien so viel als eine Missethat.
"Man sieht die Schafe nicht so sehr zerstreuet fliehen,
"Wann sie sich ungefähr dem nahen Feind entziehen;
425"Der Hirt ist nicht so sehr, wann er sie schüzt, erfreut,

"Als dieser Krieger-Schwarm bey seiner Sicherheit.
"Man lauft, kommt glücklich an, erhohlt sich mit Vergnügen,
"Und rühmet sich der Art die Feinde zu besiegen.
"Doch schlägt das Herz für Angst, der Leib erblaßt für Schweiß,
430"Der matte Geist gibt sich der Furcht und Hoffnung Preiß;
"Und

Viertes Buch.

„Allein je mehr man dort mit ihr Erbarmung hatte,
„Je mehr den Fluͤchtigen derſelben Rathen ſchadte.

„Der Fall verhaͤlt ſich ſo, wie man uns angezeigt:
410„Das Weib vermuthete man ſey nur ihr geneigt,

„Weil ſie faſt jedermann, O Elend! hoͤrte ſchreyen,
„Mithin daß die, ſo ſchrien, um ſie bekuͤmmert ſeyen.
„So ſagte ſie: wer iſt, wer hat mich angerufft?
„Jch bin das Elend ſelbſt, und unweit meine Gruft:
415„Dort findet man des Gluͤcks, des Heils, der Freuden Porten,

„(Sie wies auf jene Stadt) ſonſt ſeynd faſt aller Orten
„Die Weege zu dem Tod. So flohe man hinein,
„Von Feuer, Schwert und Tod allda befreyt zu ſeyn.
„Das Weib kroch ihnen nach; vielleicht auch Hilff zu finden,
420„Und dieſen Krieger-Schwarm zum Beyleid zu verbinden.
„Ein jeder eilte nur zu der gewuͤnſchten Stadt:
„Nicht laufen ſchien ſo viel als eine Miſſethat.
„Man ſieht die Schafe nicht ſo ſehr zerſtreuet fliehen,
„Wann ſie ſich ungefaͤhr dem nahen Feind entziehen;
425„Der Hirt iſt nicht ſo ſehr, wann er ſie ſchuͤzt, erfreut,

„Als dieſer Krieger-Schwarm bey ſeiner Sicherheit.
„Man lauft, kom̃t gluͤcklich an, erhohlt ſich mit Vergnuͤgen,
„Und ruͤhmet ſich der Art die Feinde zu beſiegen.
„Doch ſchlaͤgt das Herz fuͤr Angſt, der Leib erblaßt fuͤr Schweiß,
430„Der matte Geiſt gibt ſich der Furcht und Hoffnung Preiß;
„Und
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[0134] Viertes Buch. „Allein je mehr man dort mit ihr Erbarmung hatte, „Je mehr den Fluͤchtigen derſelben Rathen ſchadte. „Der Fall verhaͤlt ſich ſo, wie man uns angezeigt: „Das Weib vermuthete man ſey nur ihr geneigt, „Weil ſie faſt jedermann, O Elend! hoͤrte ſchreyen, „Mithin daß die, ſo ſchrien, um ſie bekuͤmmert ſeyen. „So ſagte ſie: wer iſt, wer hat mich angerufft? „Jch bin das Elend ſelbſt, und unweit meine Gruft: „Dort findet man des Gluͤcks, des Heils, der Freuden Porten, „(Sie wies auf jene Stadt) ſonſt ſeynd faſt aller Orten „Die Weege zu dem Tod. So flohe man hinein, „Von Feuer, Schwert und Tod allda befreyt zu ſeyn. „Das Weib kroch ihnen nach; vielleicht auch Hilff zu finden, „Und dieſen Krieger-Schwarm zum Beyleid zu verbinden. „Ein jeder eilte nur zu der gewuͤnſchten Stadt: „Nicht laufen ſchien ſo viel als eine Miſſethat. „Man ſieht die Schafe nicht ſo ſehr zerſtreuet fliehen, „Wann ſie ſich ungefaͤhr dem nahen Feind entziehen; „Der Hirt iſt nicht ſo ſehr, wann er ſie ſchuͤzt, erfreut, „Als dieſer Krieger-Schwarm bey ſeiner Sicherheit. „Man lauft, kom̃t gluͤcklich an, erhohlt ſich mit Vergnuͤgen, „Und ruͤhmet ſich der Art die Feinde zu beſiegen. „Doch ſchlaͤgt das Herz fuͤr Angſt, der Leib erblaßt fuͤr Schweiß, „Der matte Geiſt gibt ſich der Furcht und Hoffnung Preiß; „Und

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746/134>, abgerufen am 04.05.2024.