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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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Das Loblied kann ebenso entweder historisch oder auch psc_252.002
präsentisch sein.

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Trauerlieder desgleichen; episch.

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Lieder der Aufforderung und des Wunsches: Hymnen, psc_252.005
Gebete; flehende, wünschende Liebeslieder. Ferner Mahnungslieder, psc_252.006
die gleichsam Reden an die Masse sind, predigtartig, psc_252.007
zum Guten, zu Thaten ermunternd, zu Gesinnungen führend, psc_252.008
tröstend, zur Freude auffordernd.

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Zustandslieder: einen gegebenen Zustand abspiegelnd, psc_252.010
sei es eine einzelne Situation, sei es Übersicht des Zustandes, psc_252.011
und dann durch mehrere Situationen hindurchführend.

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Das ist eine specifisch lyrische Sphäre, wo in Monolog psc_252.013
oder Chorlied (oder Cantate) und im eigenen Namen Gegenwärtiges psc_252.014
ausgesagt oder Künftiges gewünscht wird: wenn psc_252.015
bei der Aussage von Gegenwärtigem und bei Wünschen der psc_252.016
von Zukünftigem Redende von sich selbst spricht, von sich und psc_252.017
seinen Zuständen aussagt oder seine Wünsche formulirt. psc_252.018
Dies ist das Hauptgebiet der Lyrik: das Lied in der Welt psc_252.019
der Wünsche, in Gegenwart und Zukunft.

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Wogegen Gebet, Aufforderung etwas Dramatisches, psc_252.021
Dialogisches haben; ebenso der Brief (Epistel, Heroide), der psc_252.022
natürlich in sich sehr episch werden kann.

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Und wogegen eine Prophezeihung etwas Episches hat: psc_252.024
Künftiges, das sich hinter einander vollzieht, wird vorhergesagt; psc_252.025
das ist im Grunde dasselbe, wie wenn von Vergangenem psc_252.026
gesprochen wird.

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So ist streng zu scheiden. Das eigenste Gebiet der psc_252.028
Lyrik ist wesentlich die Abspiegelung eines Zustandes, wie er

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  Das Loblied kann ebenso entweder historisch oder auch psc_252.002
präsentisch sein.

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  Trauerlieder desgleichen; episch.

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  Lieder der Aufforderung und des Wunsches: Hymnen, psc_252.005
Gebete; flehende, wünschende Liebeslieder. Ferner Mahnungslieder, psc_252.006
die gleichsam Reden an die Masse sind, predigtartig, psc_252.007
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und dann durch mehrere Situationen hindurchführend.

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oder Chorlied (oder Cantate) und im eigenen Namen Gegenwärtiges psc_252.014
ausgesagt oder Künftiges gewünscht wird: wenn psc_252.015
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von Zukünftigem Redende von sich selbst spricht, von sich und psc_252.017
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Dies ist das Hauptgebiet der Lyrik: das Lied in der Welt psc_252.019
der Wünsche, in Gegenwart und Zukunft.

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  Wogegen Gebet, Aufforderung etwas Dramatisches, psc_252.021
Dialogisches haben; ebenso der Brief (Epistel, Heroide), der psc_252.022
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Künftiges, das sich hinter einander vollzieht, wird vorhergesagt; psc_252.025
das ist im Grunde dasselbe, wie wenn von Vergangenem psc_252.026
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[252/0268] psc_252.001   Das Loblied kann ebenso entweder historisch oder auch psc_252.002 präsentisch sein. psc_252.003   Trauerlieder desgleichen; episch. psc_252.004   Lieder der Aufforderung und des Wunsches: Hymnen, psc_252.005 Gebete; flehende, wünschende Liebeslieder. Ferner Mahnungslieder, psc_252.006 die gleichsam Reden an die Masse sind, predigtartig, psc_252.007 zum Guten, zu Thaten ermunternd, zu Gesinnungen führend, psc_252.008 tröstend, zur Freude auffordernd. psc_252.009   Zustandslieder: einen gegebenen Zustand abspiegelnd, psc_252.010 sei es eine einzelne Situation, sei es Übersicht des Zustandes, psc_252.011 und dann durch mehrere Situationen hindurchführend. psc_252.012   Das ist eine specifisch lyrische Sphäre, wo in Monolog psc_252.013 oder Chorlied (oder Cantate) und im eigenen Namen Gegenwärtiges psc_252.014 ausgesagt oder Künftiges gewünscht wird: wenn psc_252.015 bei der Aussage von Gegenwärtigem und bei Wünschen der psc_252.016 von Zukünftigem Redende von sich selbst spricht, von sich und psc_252.017 seinen Zuständen aussagt oder seine Wünsche formulirt. psc_252.018 Dies ist das Hauptgebiet der Lyrik: das Lied in der Welt psc_252.019 der Wünsche, in Gegenwart und Zukunft. psc_252.020   Wogegen Gebet, Aufforderung etwas Dramatisches, psc_252.021 Dialogisches haben; ebenso der Brief (Epistel, Heroide), der psc_252.022 natürlich in sich sehr episch werden kann. psc_252.023   Und wogegen eine Prophezeihung etwas Episches hat: psc_252.024 Künftiges, das sich hinter einander vollzieht, wird vorhergesagt; psc_252.025 das ist im Grunde dasselbe, wie wenn von Vergangenem psc_252.026 gesprochen wird. psc_252.027   So ist streng zu scheiden. Das eigenste Gebiet der psc_252.028 Lyrik ist wesentlich die Abspiegelung eines Zustandes, wie er

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/268>, abgerufen am 13.05.2024.