psc_002.001 trotzdem aber rechnen wir doch unbestritten zur Poesie auch psc_002.002 den prosaischen Roman. Wie grenzen wir ab? --
psc_002.003
Jedenfalls bezweifelt kein Mensch, daß die Poesie ein psc_002.004 Verhältniß zur Sprache hat, daß auf dem Gebiet der Anwendung psc_002.005 der Sprache auch ihr Gebiet zu finden sein muß. psc_002.006 Und zwar vermuthlich auf dem Gebiete der kunstmäßigen psc_002.007 Anwendung der Sprache, da man doch die Poesie zu den psc_002.008 Künsten zu zählen pflegt, wenn auch der eigentliche Sinn psc_002.009 des Wortes "kunstmäßig" hier noch dahingestellt bleiben soll.
psc_002.010
Aber es muß sofort hinzugefügt werden: nicht alle psc_002.011 Poesie ist kunstmäßige Anwendung der Sprache, und nicht psc_002.012 alle kunstmäßige Anwendung der Sprache ist Poesie.
psc_002.013
Betrachten wir diese beiden Sätze näher, und beginnen psc_002.014 wir mit dem ersten.
psc_002.015
A. Nicht alle Poesie ist kunstmäßige Anwendung psc_002.016 der Sprache.
psc_002.017
Sie werden das ohne weiteres zugeben; denn Sie psc_002.018 werden mit mir einverstanden sein, daß die Erfindung eines psc_002.019 Ballets, d. h. einer zusammenhängenden dramatischen Handlung, psc_002.020 bei welcher nicht gesprochen wird, ein Act poetischer psc_002.021 Erfindung ist. Der Dichter wird zwar auch dabei die psc_002.022 Sprache anwenden: er wird den Darstellern mündlich den psc_002.023 Gang ihrer Action vorzeichnen, oder er wird eine schriftliche psc_002.024 Jnstruction ausarbeiten -- aber das ist gewiß kein kunstmäßiger psc_002.025 Gebrauch der Sprache, sondern die Sprache ist hier psc_002.026 bloßes Verständigungsmittel. Das Kunstwerk entsteht erst,
psc_002.001 trotzdem aber rechnen wir doch unbestritten zur Poesie auch psc_002.002 den prosaischen Roman. Wie grenzen wir ab? —
psc_002.003
Jedenfalls bezweifelt kein Mensch, daß die Poesie ein psc_002.004 Verhältniß zur Sprache hat, daß auf dem Gebiet der Anwendung psc_002.005 der Sprache auch ihr Gebiet zu finden sein muß. psc_002.006 Und zwar vermuthlich auf dem Gebiete der kunstmäßigen psc_002.007 Anwendung der Sprache, da man doch die Poesie zu den psc_002.008 Künsten zu zählen pflegt, wenn auch der eigentliche Sinn psc_002.009 des Wortes „kunstmäßig“ hier noch dahingestellt bleiben soll.
psc_002.010
Aber es muß sofort hinzugefügt werden: nicht alle psc_002.011 Poesie ist kunstmäßige Anwendung der Sprache, und nicht psc_002.012 alle kunstmäßige Anwendung der Sprache ist Poesie.
psc_002.013
Betrachten wir diese beiden Sätze näher, und beginnen psc_002.014 wir mit dem ersten.
psc_002.015
A. Nicht alle Poesie ist kunstmäßige Anwendung psc_002.016 der Sprache.
psc_002.017
Sie werden das ohne weiteres zugeben; denn Sie psc_002.018 werden mit mir einverstanden sein, daß die Erfindung eines psc_002.019 Ballets, d. h. einer zusammenhängenden dramatischen Handlung, psc_002.020 bei welcher nicht gesprochen wird, ein Act poetischer psc_002.021 Erfindung ist. Der Dichter wird zwar auch dabei die psc_002.022 Sprache anwenden: er wird den Darstellern mündlich den psc_002.023 Gang ihrer Action vorzeichnen, oder er wird eine schriftliche psc_002.024 Jnstruction ausarbeiten — aber das ist gewiß kein kunstmäßiger psc_002.025 Gebrauch der Sprache, sondern die Sprache ist hier psc_002.026 bloßes Verständigungsmittel. Das Kunstwerk entsteht erst,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0018"n="2"/><lbn="psc_002.001"/>
trotzdem aber rechnen wir doch unbestritten zur Poesie auch <lbn="psc_002.002"/>
den prosaischen Roman. Wie grenzen wir ab? —</p><lbn="psc_002.003"/><p> Jedenfalls bezweifelt kein Mensch, daß die Poesie ein <lbn="psc_002.004"/>
Verhältniß zur Sprache hat, daß auf dem Gebiet der Anwendung <lbn="psc_002.005"/>
der Sprache auch ihr Gebiet zu finden sein muß. <lbn="psc_002.006"/>
Und zwar vermuthlich auf dem Gebiete der kunstmäßigen <lbn="psc_002.007"/>
Anwendung der Sprache, da man doch die Poesie zu den <lbn="psc_002.008"/>
Künsten zu zählen pflegt, wenn auch der eigentliche Sinn <lbn="psc_002.009"/>
des Wortes „kunstmäßig“ hier noch dahingestellt bleiben soll.</p><lbn="psc_002.010"/><p> Aber es muß sofort hinzugefügt werden: nicht alle <lbn="psc_002.011"/>
Poesie ist kunstmäßige Anwendung der Sprache, und nicht <lbn="psc_002.012"/>
alle kunstmäßige Anwendung der Sprache ist Poesie.</p><lbn="psc_002.013"/><p> Betrachten wir diese beiden Sätze näher, und beginnen <lbn="psc_002.014"/>
wir mit dem ersten.</p><divn="3"><lbn="psc_002.015"/><head><hirendition="#c"><hirendition="#aq">A</hi>. <hirendition="#g">Nicht alle Poesie ist kunstmäßige Anwendung <lbn="psc_002.016"/>
der Sprache.</hi></hi></head><lbn="psc_002.017"/><p> Sie werden das ohne weiteres zugeben; denn Sie <lbn="psc_002.018"/>
werden mit mir einverstanden sein, daß die Erfindung eines <lbn="psc_002.019"/>
Ballets, d. h. einer zusammenhängenden dramatischen Handlung, <lbn="psc_002.020"/>
bei welcher nicht gesprochen wird, ein Act poetischer <lbn="psc_002.021"/>
Erfindung ist. Der Dichter wird zwar auch dabei die <lbn="psc_002.022"/>
Sprache anwenden: er wird den Darstellern mündlich den <lbn="psc_002.023"/>
Gang ihrer Action vorzeichnen, oder er wird eine schriftliche <lbn="psc_002.024"/>
Jnstruction ausarbeiten — aber das ist gewiß kein kunstmäßiger <lbn="psc_002.025"/>
Gebrauch der Sprache, sondern die Sprache ist hier <lbn="psc_002.026"/>
bloßes Verständigungsmittel. Das Kunstwerk entsteht erst,
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[2/0018]
psc_002.001
trotzdem aber rechnen wir doch unbestritten zur Poesie auch psc_002.002
den prosaischen Roman. Wie grenzen wir ab? —
psc_002.003
Jedenfalls bezweifelt kein Mensch, daß die Poesie ein psc_002.004
Verhältniß zur Sprache hat, daß auf dem Gebiet der Anwendung psc_002.005
der Sprache auch ihr Gebiet zu finden sein muß. psc_002.006
Und zwar vermuthlich auf dem Gebiete der kunstmäßigen psc_002.007
Anwendung der Sprache, da man doch die Poesie zu den psc_002.008
Künsten zu zählen pflegt, wenn auch der eigentliche Sinn psc_002.009
des Wortes „kunstmäßig“ hier noch dahingestellt bleiben soll.
psc_002.010
Aber es muß sofort hinzugefügt werden: nicht alle psc_002.011
Poesie ist kunstmäßige Anwendung der Sprache, und nicht psc_002.012
alle kunstmäßige Anwendung der Sprache ist Poesie.
psc_002.013
Betrachten wir diese beiden Sätze näher, und beginnen psc_002.014
wir mit dem ersten.
psc_002.015
A. Nicht alle Poesie ist kunstmäßige Anwendung psc_002.016
der Sprache. psc_002.017
Sie werden das ohne weiteres zugeben; denn Sie psc_002.018
werden mit mir einverstanden sein, daß die Erfindung eines psc_002.019
Ballets, d. h. einer zusammenhängenden dramatischen Handlung, psc_002.020
bei welcher nicht gesprochen wird, ein Act poetischer psc_002.021
Erfindung ist. Der Dichter wird zwar auch dabei die psc_002.022
Sprache anwenden: er wird den Darstellern mündlich den psc_002.023
Gang ihrer Action vorzeichnen, oder er wird eine schriftliche psc_002.024
Jnstruction ausarbeiten — aber das ist gewiß kein kunstmäßiger psc_002.025
Gebrauch der Sprache, sondern die Sprache ist hier psc_002.026
bloßes Verständigungsmittel. Das Kunstwerk entsteht erst,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/18>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.