Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_129.001 Das Grundverhältniß ist doch dies, daß diese Beherrscher psc_129.002 Es herrscht heut auf dem litterarischen Gebiet eine entschieden psc_129.014 psc_129.001 Das Grundverhältniß ist doch dies, daß diese Beherrscher psc_129.002 Es herrscht heut auf dem litterarischen Gebiet eine entschieden psc_129.014 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0145" n="129"/> <lb n="psc_129.001"/> <p> Das Grundverhältniß ist doch dies, daß diese Beherrscher <lb n="psc_129.002"/> des Publicums nur die Diener des Publicums sind. Der <lb n="psc_129.003"/> entschiedene Ausspruch des Publicums zähmt die Recensenten. <lb n="psc_129.004"/> Und so darf man sagen: bei der heutigen Organisation des <lb n="psc_129.005"/> litterarischen Verkehrs haben im Allgemeinen die Culturvölker <lb n="psc_129.006"/> die Poesie, die sie verdienen. So kann die ganze <lb n="psc_129.007"/> Nation für den Stand ihrer Litteratur verantwortlich gemacht <lb n="psc_129.008"/> werden. Doch aber mit Einschränkung? Die hinreißenden <lb n="psc_129.009"/> Genies, die alles mit sich fortziehen — ob die <lb n="psc_129.010"/> kommen oder nicht kommen, dafür ist das Publicum doch <lb n="psc_129.011"/> wohl nur in geringem Maße verantwortlich, darauf hat es <lb n="psc_129.012"/> nur geringen Einfluß.</p> <lb n="psc_129.013"/> <p> Es herrscht heut auf dem litterarischen Gebiet eine entschieden <lb n="psc_129.014"/> demokratische Verfassung mit allgemeinem gleichem <lb n="psc_129.015"/> Wahlrecht. Wie anders früher die monarchische oder aristokratische <lb n="psc_129.016"/> Verfassung! Wie anders die Zeiten, in denen die <lb n="psc_129.017"/> Dichter keine anderen Rücksichten kannten als auf den einen <lb n="psc_129.018"/> Mäcen, oder auf einen Freundeskreis! Der frühere Dichter <lb n="psc_129.019"/> mußte nur Einem schmeicheln, um zu gefallen, der heutige <lb n="psc_129.020"/> Dichter muß dem ganzen Publicum schmeicheln. Wenn nun <lb n="psc_129.021"/> jener Mäcen ein freisinniger, ein groß denkender Mann war, <lb n="psc_129.022"/> wie etwa Carl August — ein Mann, der nur die Freude <lb n="psc_129.023"/> haben wollte, um sich Poesie blühen und gedeihen zu sehn, <lb n="psc_129.024"/> dann konnte sich der Dichter nichts Günstigeres wünschen. <lb n="psc_129.025"/> So war Goethe gestellt. Und doch war dieser Umstand in <lb n="psc_129.026"/> gewissem Sinn für ihn vielleicht verhängnißvoll, weil er gleichsam <lb n="psc_129.027"/> nur sich selbst zum Publicum hatte: daher kommt es denn, <lb n="psc_129.028"/> daß, wo er sich am eigenthümlichsten gab, seine Producte </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [129/0145]
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Das Grundverhältniß ist doch dies, daß diese Beherrscher psc_129.002
des Publicums nur die Diener des Publicums sind. Der psc_129.003
entschiedene Ausspruch des Publicums zähmt die Recensenten. psc_129.004
Und so darf man sagen: bei der heutigen Organisation des psc_129.005
litterarischen Verkehrs haben im Allgemeinen die Culturvölker psc_129.006
die Poesie, die sie verdienen. So kann die ganze psc_129.007
Nation für den Stand ihrer Litteratur verantwortlich gemacht psc_129.008
werden. Doch aber mit Einschränkung? Die hinreißenden psc_129.009
Genies, die alles mit sich fortziehen — ob die psc_129.010
kommen oder nicht kommen, dafür ist das Publicum doch psc_129.011
wohl nur in geringem Maße verantwortlich, darauf hat es psc_129.012
nur geringen Einfluß.
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Es herrscht heut auf dem litterarischen Gebiet eine entschieden psc_129.014
demokratische Verfassung mit allgemeinem gleichem psc_129.015
Wahlrecht. Wie anders früher die monarchische oder aristokratische psc_129.016
Verfassung! Wie anders die Zeiten, in denen die psc_129.017
Dichter keine anderen Rücksichten kannten als auf den einen psc_129.018
Mäcen, oder auf einen Freundeskreis! Der frühere Dichter psc_129.019
mußte nur Einem schmeicheln, um zu gefallen, der heutige psc_129.020
Dichter muß dem ganzen Publicum schmeicheln. Wenn nun psc_129.021
jener Mäcen ein freisinniger, ein groß denkender Mann war, psc_129.022
wie etwa Carl August — ein Mann, der nur die Freude psc_129.023
haben wollte, um sich Poesie blühen und gedeihen zu sehn, psc_129.024
dann konnte sich der Dichter nichts Günstigeres wünschen. psc_129.025
So war Goethe gestellt. Und doch war dieser Umstand in psc_129.026
gewissem Sinn für ihn vielleicht verhängnißvoll, weil er gleichsam psc_129.027
nur sich selbst zum Publicum hatte: daher kommt es denn, psc_129.028
daß, wo er sich am eigenthümlichsten gab, seine Producte
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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