Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_127.001 Von Zeit zu Zeit ist ein scharfes Vorgehen der Kritik psc_127.012 Ob im 19. Jahrhundert die Kritik auch auf der Höhe psc_127.019 psc_127.001 Von Zeit zu Zeit ist ein scharfes Vorgehen der Kritik psc_127.012 Ob im 19. Jahrhundert die Kritik auch auf der Höhe psc_127.019 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0143" n="127"/><lb n="psc_127.001"/> das Gefühl, daß er durch die Kritik nirgends wirklich gefördert <lb n="psc_127.002"/> worden sei. Etwas wahrhaft Bedeutendes wird niemals <lb n="psc_127.003"/> durch die Kritik zerstört oder vernichtet, wohl aber <lb n="psc_127.004"/> kann es aufgehalten werden. So mußten Goethe und Schiller <lb n="psc_127.005"/> durch das Strafgericht, welches sie ergehen ließen, für ihre <lb n="psc_127.006"/> bedeutenden Anschauungen erst Raum schaffen. Schiller <lb n="psc_127.007"/> hatte ja überhaupt eine populäre Ader; aber für Goethe <lb n="psc_127.008"/> war viele Jahre hindurch das Publicum ein engerer Freundeskreis. <lb n="psc_127.009"/> Und diesem Publicum konnte er denn freilich Großes <lb n="psc_127.010"/> zumuthen.</p> <lb n="psc_127.011"/> <p> Von Zeit zu Zeit ist ein scharfes Vorgehen der Kritik <lb n="psc_127.012"/> durchaus nöthig; so mußte seiner Zeit der überschätzte Gellert <lb n="psc_127.013"/> zurückgedrängt werden, während die Litteraturgeschichte jetzt <lb n="psc_127.014"/> ihm wieder gerecht werden muß. Jnnerhalb der kleinen <lb n="psc_127.015"/> Gattung, die er pflegte, hatte er jedenfalls große Verdienste; <lb n="psc_127.016"/> er wurde in allen Ländern anerkannt, ihm haben wir es <lb n="psc_127.017"/> mitzudanken, daß später die Poesie so große Kreise gewann.</p> <lb n="psc_127.018"/> <p> Ob im 19. Jahrhundert die Kritik auch auf der Höhe <lb n="psc_127.019"/> gestanden hat, ist sehr fraglich. So war es wohl gewiß <lb n="psc_127.020"/> keine segensreiche That, wenn man sich an Goethe glaubte <lb n="psc_127.021"/> vergreifen zu dürfen, wie Wolfgang Menzel und das „junge <lb n="psc_127.022"/> Deutschland“ ihn heruntersetzen wollten. J. Rodenberg hat <lb n="psc_127.023"/> mir erzählt, wie Gutzkow, als sie am Weimarer Denkmal <lb n="psc_127.024"/> vorbeikamen, wüthend die Hand aufhob, voll Neid und Zorn, <lb n="psc_127.025"/> daß diese Großen ihm im Wege standen; aber es blieb ihm <lb n="psc_127.026"/> ein Trost; er sagte: „neunbändige Romane haben sie doch <lb n="psc_127.027"/> nicht schreiben können!“ Allein eine Kritik ist jedenfalls </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0143]
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das Gefühl, daß er durch die Kritik nirgends wirklich gefördert psc_127.002
worden sei. Etwas wahrhaft Bedeutendes wird niemals psc_127.003
durch die Kritik zerstört oder vernichtet, wohl aber psc_127.004
kann es aufgehalten werden. So mußten Goethe und Schiller psc_127.005
durch das Strafgericht, welches sie ergehen ließen, für ihre psc_127.006
bedeutenden Anschauungen erst Raum schaffen. Schiller psc_127.007
hatte ja überhaupt eine populäre Ader; aber für Goethe psc_127.008
war viele Jahre hindurch das Publicum ein engerer Freundeskreis. psc_127.009
Und diesem Publicum konnte er denn freilich Großes psc_127.010
zumuthen.
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Von Zeit zu Zeit ist ein scharfes Vorgehen der Kritik psc_127.012
durchaus nöthig; so mußte seiner Zeit der überschätzte Gellert psc_127.013
zurückgedrängt werden, während die Litteraturgeschichte jetzt psc_127.014
ihm wieder gerecht werden muß. Jnnerhalb der kleinen psc_127.015
Gattung, die er pflegte, hatte er jedenfalls große Verdienste; psc_127.016
er wurde in allen Ländern anerkannt, ihm haben wir es psc_127.017
mitzudanken, daß später die Poesie so große Kreise gewann.
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Ob im 19. Jahrhundert die Kritik auch auf der Höhe psc_127.019
gestanden hat, ist sehr fraglich. So war es wohl gewiß psc_127.020
keine segensreiche That, wenn man sich an Goethe glaubte psc_127.021
vergreifen zu dürfen, wie Wolfgang Menzel und das „junge psc_127.022
Deutschland“ ihn heruntersetzen wollten. J. Rodenberg hat psc_127.023
mir erzählt, wie Gutzkow, als sie am Weimarer Denkmal psc_127.024
vorbeikamen, wüthend die Hand aufhob, voll Neid und Zorn, psc_127.025
daß diese Großen ihm im Wege standen; aber es blieb ihm psc_127.026
ein Trost; er sagte: „neunbändige Romane haben sie doch psc_127.027
nicht schreiben können!“ Allein eine Kritik ist jedenfalls
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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