Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_115.001 Sie kann es um so eher, als sie ein Mittel der Forschung, psc_115.011 psc_115.001 Sie kann es um so eher, als sie ein Mittel der Forschung, psc_115.011 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0131" n="115"/><lb n="psc_115.001"/> dem Menschen macht, auf dieser Macht des Wissens. Ja <lb n="psc_115.002"/> das Wissen ist Macht schon deshalb, weil der Hörende Vergnügen <lb n="psc_115.003"/> hat an der Beantwortung von Fragen, Lösung von <lb n="psc_115.004"/> Räthseln — kurz also weil er die Freude der befriedigten <lb n="psc_115.005"/> Neugier hat, und weil nun der Wissende, der seine Kenntnisse <lb n="psc_115.006"/> offenbart, die Menge erfreut. Und das sind zum Theil die <lb n="psc_115.007"/> Gründe, welche dazu führten, in alter Zeit die Poesie als <lb n="psc_115.008"/> Form der Wissenschaft zu benutzen. Hier bleibt die Poesie <lb n="psc_115.009"/> also ihrem Amte der Ergötzlichkeit getreu.</p> <lb n="psc_115.010"/> <p> Sie kann es um so eher, als sie ein Mittel der Forschung, <lb n="psc_115.011"/> der Erkenntniß in den Urzeiten und auch später ist. <lb n="psc_115.012"/> Die Phantasie ist ein großes Mittel der Erkenntniß in allen <lb n="psc_115.013"/> Geisteswissenschaften. Wo es gilt, alte Zeiten lebendig zu <lb n="psc_115.014"/> machen, da ist die Phantasie eine große Macht; für historische <lb n="psc_115.015"/> Wissenschaften pflegte Müllenhoff hervorzuheben, daß das <lb n="psc_115.016"/> reichste Mittel für die Erkenntniß der zerstreuten Notizen u. s. w. <lb n="psc_115.017"/> die Phantasie sei, nur natürlich eine geschulte Phantasie, <lb n="psc_115.018"/> welche aus der lebendigen Anschauung heraus zum lebendigen <lb n="psc_115.019"/> Zusammenhang vorzudringen weiß. Der kleinste Knochen, <lb n="psc_115.020"/> das kleinste Glied eines Fingers kann so beschaffen sein, daß <lb n="psc_115.021"/> ein vergleichender Anatom das ganze Knochengerüst des betreffenden <lb n="psc_115.022"/> Thieres aufzubauen vermag (Cuvier). Und ebenso <lb n="psc_115.023"/> können wir aus einer kleinen Notiz vermittelst der Phantasie <lb n="psc_115.024"/> das Ganze zu erkennen versuchen. Für die kleinsten <lb n="psc_115.025"/> Schlüsse ist noch heute Phantasie erforderlich; und noch viel <lb n="psc_115.026"/> stärker mußte sie in der Urzeit arbeiten, wo die Poesie also <lb n="psc_115.027"/> ein Mittel der Forschung war. Damals war freilich die <lb n="psc_115.028"/> Phantasie noch weniger als jetzt geregelt und oft voreilig. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [115/0131]
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dem Menschen macht, auf dieser Macht des Wissens. Ja psc_115.002
das Wissen ist Macht schon deshalb, weil der Hörende Vergnügen psc_115.003
hat an der Beantwortung von Fragen, Lösung von psc_115.004
Räthseln — kurz also weil er die Freude der befriedigten psc_115.005
Neugier hat, und weil nun der Wissende, der seine Kenntnisse psc_115.006
offenbart, die Menge erfreut. Und das sind zum Theil die psc_115.007
Gründe, welche dazu führten, in alter Zeit die Poesie als psc_115.008
Form der Wissenschaft zu benutzen. Hier bleibt die Poesie psc_115.009
also ihrem Amte der Ergötzlichkeit getreu.
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Sie kann es um so eher, als sie ein Mittel der Forschung, psc_115.011
der Erkenntniß in den Urzeiten und auch später ist. psc_115.012
Die Phantasie ist ein großes Mittel der Erkenntniß in allen psc_115.013
Geisteswissenschaften. Wo es gilt, alte Zeiten lebendig zu psc_115.014
machen, da ist die Phantasie eine große Macht; für historische psc_115.015
Wissenschaften pflegte Müllenhoff hervorzuheben, daß das psc_115.016
reichste Mittel für die Erkenntniß der zerstreuten Notizen u. s. w. psc_115.017
die Phantasie sei, nur natürlich eine geschulte Phantasie, psc_115.018
welche aus der lebendigen Anschauung heraus zum lebendigen psc_115.019
Zusammenhang vorzudringen weiß. Der kleinste Knochen, psc_115.020
das kleinste Glied eines Fingers kann so beschaffen sein, daß psc_115.021
ein vergleichender Anatom das ganze Knochengerüst des betreffenden psc_115.022
Thieres aufzubauen vermag (Cuvier). Und ebenso psc_115.023
können wir aus einer kleinen Notiz vermittelst der Phantasie psc_115.024
das Ganze zu erkennen versuchen. Für die kleinsten psc_115.025
Schlüsse ist noch heute Phantasie erforderlich; und noch viel psc_115.026
stärker mußte sie in der Urzeit arbeiten, wo die Poesie also psc_115.027
ein Mittel der Forschung war. Damals war freilich die psc_115.028
Phantasie noch weniger als jetzt geregelt und oft voreilig.
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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