Philosophie selbst als eine exotische Pflanze im griechischen Boden, ein Gefühl, das schon in dem allgemeinen Trieb sich ausdrückte, welcher diejenigen, die entweder durch die Weisheit frü¬ herer Philosophen oder die Mysterien in höhere Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬ land der Ideen, dem Orient führte.
Aber auch abgesehen von dieser bloß histo¬ rischen, nicht philosophischen, Entgegensetzung, die letztere vielmehr zugegeben, was ist Plato's Verwerfung der Dichtkunst, verglichen insbe¬ sondere mit dem, was er in andern Werken zum Lob der enthusiastischen Poesie sagt, an¬ ders, als Polemik gegen den poetischen Rea¬ lismus, eine Vorahndung der spätern Rich¬ tung des Geistes überhaupt und der Poesie ins¬ besondere? Am wenigsten könnte jenes Urtheil gegen die christliche Poesie geltend gemacht werden, welche im Ganzen eben so bestimmt den Charakter des Unendlichen trägt, wie die antike im Ganzen den des Endlichen. Daß wir die Gränzen, welche die letztere hat, ge¬ nauer bestimmen können, als Plato, der ih¬
Philoſophie ſelbſt als eine exotiſche Pflanze im griechiſchen Boden, ein Gefuͤhl, das ſchon in dem allgemeinen Trieb ſich ausdruͤckte, welcher diejenigen, die entweder durch die Weisheit fruͤ¬ herer Philoſophen oder die Myſterien in hoͤhere Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬ land der Ideen, dem Orient fuͤhrte.
Aber auch abgeſehen von dieſer bloß hiſto¬ riſchen, nicht philoſophiſchen, Entgegenſetzung, die letztere vielmehr zugegeben, was iſt Plato's Verwerfung der Dichtkunſt, verglichen insbe¬ ſondere mit dem, was er in andern Werken zum Lob der enthuſiaſtiſchen Poeſie ſagt, an¬ ders, als Polemik gegen den poetiſchen Rea¬ lismus, eine Vorahndung der ſpaͤtern Rich¬ tung des Geiſtes uͤberhaupt und der Poeſie ins¬ beſondere? Am wenigſten koͤnnte jenes Urtheil gegen die chriſtliche Poeſie geltend gemacht werden, welche im Ganzen eben ſo beſtimmt den Charakter des Unendlichen traͤgt, wie die antike im Ganzen den des Endlichen. Daß wir die Graͤnzen, welche die letztere hat, ge¬ nauer beſtimmen koͤnnen, als Plato, der ih¬
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Philoſophie ſelbſt als eine exotiſche Pflanze im
griechiſchen Boden, ein Gefuͤhl, das ſchon in
dem allgemeinen Trieb ſich ausdruͤckte, welcher
diejenigen, die entweder durch die Weisheit fruͤ¬
herer Philoſophen oder die Myſterien in hoͤhere
Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬
land der Ideen, dem Orient fuͤhrte.
Aber auch abgeſehen von dieſer bloß hiſto¬
riſchen, nicht philoſophiſchen, Entgegenſetzung,
die letztere vielmehr zugegeben, was iſt Plato's
Verwerfung der Dichtkunſt, verglichen insbe¬
ſondere mit dem, was er in andern Werken
zum Lob der enthuſiaſtiſchen Poeſie ſagt, an¬
ders, als Polemik gegen den poetiſchen Rea¬
lismus, eine Vorahndung der ſpaͤtern Rich¬
tung des Geiſtes uͤberhaupt und der Poeſie ins¬
beſondere? Am wenigſten koͤnnte jenes Urtheil
gegen die chriſtliche Poeſie geltend gemacht
werden, welche im Ganzen eben ſo beſtimmt
den Charakter des Unendlichen traͤgt, wie die
antike im Ganzen den des Endlichen. Daß
wir die Graͤnzen, welche die letztere hat, ge¬
nauer beſtimmen koͤnnen, als Plato, der ih¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/319>, abgerufen am 23.11.2024.
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