Der Enthusiasmus des Zeitalters für Che¬ mie hat diese auch zum Erkenntnißgrund aller organischen Erscheinungen und das Leben selbst zu einem chemischen Proceß gemacht. Die Erklärungen der ersten Bildung des Lebendi¬ gen durch Wahlanziehung oder Krystallisation, der organischen Bewegungen und selbst der so¬ genannten Sinneswirkungen durch Mischungs¬ veränderungen und Zersetzungen, gehen vor¬ trefflich von statten, nur daß diejenigen, die sie machen, vorerst noch zu erklären haben, was denn Wahlanziehung und Mischungsver¬ änderung selbst sey, eine Frage, welche be¬ antworten zu können, sie sich ohne Zweifel bescheiden.
Mit dem bloßen Uebertragen, Anwenden von dem einen Theil der Naturwissenschaft auf den andern ist es nicht gethan: jeder ist in sich absolut, keiner von dem andern abzu¬ leiten und alle können nur dadurch wahrhaft Eins werden, daß in jedem für sich das Beson¬ dere aus dem Allgemeinen und aus einer ab¬ soluten Gesetzmäßigkeit begriffen wird.
Der Enthuſiasmus des Zeitalters fuͤr Che¬ mie hat dieſe auch zum Erkenntnißgrund aller organiſchen Erſcheinungen und das Leben ſelbſt zu einem chemiſchen Proceß gemacht. Die Erklaͤrungen der erſten Bildung des Lebendi¬ gen durch Wahlanziehung oder Kryſtalliſation, der organiſchen Bewegungen und ſelbſt der ſo¬ genannten Sinneswirkungen durch Miſchungs¬ veraͤnderungen und Zerſetzungen, gehen vor¬ trefflich von ſtatten, nur daß diejenigen, die ſie machen, vorerſt noch zu erklaͤren haben, was denn Wahlanziehung und Miſchungsver¬ aͤnderung ſelbſt ſey, eine Frage, welche be¬ antworten zu koͤnnen, ſie ſich ohne Zweifel beſcheiden.
Mit dem bloßen Uebertragen, Anwenden von dem einen Theil der Naturwiſſenſchaft auf den andern iſt es nicht gethan: jeder iſt in ſich abſolut, keiner von dem andern abzu¬ leiten und alle koͤnnen nur dadurch wahrhaft Eins werden, daß in jedem fuͤr ſich das Beſon¬ dere aus dem Allgemeinen und aus einer ab¬ ſoluten Geſetzmaͤßigkeit begriffen wird.
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Der Enthuſiasmus des Zeitalters fuͤr Che¬
mie hat dieſe auch zum Erkenntnißgrund aller
organiſchen Erſcheinungen und das Leben ſelbſt
zu einem chemiſchen Proceß gemacht. Die
Erklaͤrungen der erſten Bildung des Lebendi¬
gen durch Wahlanziehung oder Kryſtalliſation,
der organiſchen Bewegungen und ſelbſt der ſo¬
genannten Sinneswirkungen durch Miſchungs¬
veraͤnderungen und Zerſetzungen, gehen vor¬
trefflich von ſtatten, nur daß diejenigen, die
ſie machen, vorerſt noch zu erklaͤren haben,
was denn Wahlanziehung und Miſchungsver¬
aͤnderung ſelbſt ſey, eine Frage, welche be¬
antworten zu koͤnnen, ſie ſich ohne Zweifel
beſcheiden.
Mit dem bloßen Uebertragen, Anwenden
von dem einen Theil der Naturwiſſenſchaft
auf den andern iſt es nicht gethan: jeder iſt
in ſich abſolut, keiner von dem andern abzu¬
leiten und alle koͤnnen nur dadurch wahrhaft
Eins werden, daß in jedem fuͤr ſich das Beſon¬
dere aus dem Allgemeinen und aus einer ab¬
ſoluten Geſetzmaͤßigkeit begriffen wird.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/293>, abgerufen am 23.11.2024.
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