falt der Chroniken liebgewinnen, die keine prä¬ tensionvollen Karakterschilderungen machen, oder psychologisch motiviren.
Wer sich zum historischen Künstler bilden will, halte sich einzig an die großen Muster der Alten, welche, nach dem Zerfall des allgemeinen und öffentlichen Lebens, nie wieder erreicht wer¬ den konnten. Wenn wir von Gibbon absehen, dessen Werk die umfassende Conception und die ganze Macht des großen Wendepunctes der neueren Zeit für sich hat, obgleich er nur Red¬ ner nicht Geschichtschreiber ist, existiren bloß wahrhaft nationelle Historiker, unter denen die spätere Zeit nur Macchiavelli und Joh. Müller nennen wird.
Welche Stufen derjenige zu erklimmen hat, der würdiger Weise die Geschichte ver¬ zeichnen will, könnten die, so diesem Beruf sich weihen, vorerst nur aus den Briefen, welche dieser als Jüngling geschrieben, ohngefähr er¬ messen. Aber überhaupt alles, was Wissen¬ schaft und Kunst, was ein erfahrungsreiches
15
falt der Chroniken liebgewinnen, die keine praͤ¬ tenſionvollen Karakterſchilderungen machen, oder pſychologiſch motiviren.
Wer ſich zum hiſtoriſchen Kuͤnſtler bilden will, halte ſich einzig an die großen Muſter der Alten, welche, nach dem Zerfall des allgemeinen und oͤffentlichen Lebens, nie wieder erreicht wer¬ den konnten. Wenn wir von Gibbon abſehen, deſſen Werk die umfaſſende Conception und die ganze Macht des großen Wendepunctes der neueren Zeit fuͤr ſich hat, obgleich er nur Red¬ ner nicht Geſchichtſchreiber iſt, exiſtiren bloß wahrhaft nationelle Hiſtoriker, unter denen die ſpaͤtere Zeit nur Macchiavelli und Joh. Muͤller nennen wird.
Welche Stufen derjenige zu erklimmen hat, der wuͤrdiger Weiſe die Geſchichte ver¬ zeichnen will, koͤnnten die, ſo dieſem Beruf ſich weihen, vorerſt nur aus den Briefen, welche dieſer als Juͤngling geſchrieben, ohngefaͤhr er¬ meſſen. Aber uͤberhaupt alles, was Wiſſen¬ ſchaft und Kunſt, was ein erfahrungsreiches
15
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0234"n="225"/>
falt der Chroniken liebgewinnen, die keine praͤ¬<lb/>
tenſionvollen Karakterſchilderungen machen, oder<lb/>
pſychologiſch motiviren.</p><lb/><p>Wer ſich zum hiſtoriſchen Kuͤnſtler bilden<lb/>
will, halte ſich einzig an die großen Muſter der<lb/>
Alten, welche, nach dem Zerfall des allgemeinen<lb/>
und oͤffentlichen Lebens, nie wieder erreicht wer¬<lb/>
den konnten. Wenn wir von Gibbon abſehen,<lb/>
deſſen Werk die umfaſſende Conception und die<lb/>
ganze Macht des großen Wendepunctes der<lb/>
neueren Zeit fuͤr ſich hat, obgleich er nur Red¬<lb/>
ner nicht Geſchichtſchreiber iſt, exiſtiren bloß<lb/>
wahrhaft nationelle Hiſtoriker, unter denen die<lb/>ſpaͤtere Zeit nur Macchiavelli und Joh. Muͤller<lb/>
nennen wird.</p><lb/><p>Welche Stufen derjenige zu erklimmen<lb/>
hat, der wuͤrdiger Weiſe die Geſchichte ver¬<lb/>
zeichnen will, koͤnnten die, ſo dieſem Beruf ſich<lb/>
weihen, vorerſt nur aus den Briefen, welche<lb/>
dieſer als Juͤngling geſchrieben, ohngefaͤhr er¬<lb/>
meſſen. Aber uͤberhaupt alles, was Wiſſen¬<lb/>ſchaft und Kunſt, was ein erfahrungsreiches<lb/><fwplace="bottom"type="sig">15<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[225/0234]
falt der Chroniken liebgewinnen, die keine praͤ¬
tenſionvollen Karakterſchilderungen machen, oder
pſychologiſch motiviren.
Wer ſich zum hiſtoriſchen Kuͤnſtler bilden
will, halte ſich einzig an die großen Muſter der
Alten, welche, nach dem Zerfall des allgemeinen
und oͤffentlichen Lebens, nie wieder erreicht wer¬
den konnten. Wenn wir von Gibbon abſehen,
deſſen Werk die umfaſſende Conception und die
ganze Macht des großen Wendepunctes der
neueren Zeit fuͤr ſich hat, obgleich er nur Red¬
ner nicht Geſchichtſchreiber iſt, exiſtiren bloß
wahrhaft nationelle Hiſtoriker, unter denen die
ſpaͤtere Zeit nur Macchiavelli und Joh. Muͤller
nennen wird.
Welche Stufen derjenige zu erklimmen
hat, der wuͤrdiger Weiſe die Geſchichte ver¬
zeichnen will, koͤnnten die, ſo dieſem Beruf ſich
weihen, vorerſt nur aus den Briefen, welche
dieſer als Juͤngling geſchrieben, ohngefaͤhr er¬
meſſen. Aber uͤberhaupt alles, was Wiſſen¬
ſchaft und Kunſt, was ein erfahrungsreiches
15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/234>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.