Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

und öffentliches Leben vermögen, muß dazu
beytragen, den Historiker zu bilden.

Die ersten Urbilder des historischen Styls
sind das Epos in seiner ursprünglichen Ge¬
stalt und die Tragödie; denn wenn die univer¬
selle Geschichte, deren Anfänge, wie die Quel¬
len des Nils, unerkennbar, die epische Form
und Fülle liebt, will die besondere dagegen
mehr concentrisch um einen gemeinschaftlichen
Mittelpunct gebildet seyn; davon zu schweigen,
daß für den Historiker die Tragödie die wahre
Quelle großer Ideen und der erhabenen Den¬
kungsart ist, zu welcher er gebildet seyn muß.

Als den Gegenstand der Historie im en¬
gern Sinne bestimmten wir die Bildung eines
objectiven Organismus der Freyheit oder des
Staats. Es giebt eine Wissenschaft desselben,
so nothwendig es eine Wissenschaft der Natur
giebt. Seine Idee kann um so weniger aus
der Erfahrung genommen seyn, da diese hier
vielmehr selbst erst nach Ideen geschaffen und
der Staat als Kunstwerk erscheinen soll.

Wenn die realen Wissenschaften überhaupt

und oͤffentliches Leben vermoͤgen, muß dazu
beytragen, den Hiſtoriker zu bilden.

Die erſten Urbilder des hiſtoriſchen Styls
ſind das Epos in ſeiner urſpruͤnglichen Ge¬
ſtalt und die Tragoͤdie; denn wenn die univer¬
ſelle Geſchichte, deren Anfaͤnge, wie die Quel¬
len des Nils, unerkennbar, die epiſche Form
und Fuͤlle liebt, will die beſondere dagegen
mehr concentriſch um einen gemeinſchaftlichen
Mittelpunct gebildet ſeyn; davon zu ſchweigen,
daß fuͤr den Hiſtoriker die Tragoͤdie die wahre
Quelle großer Ideen und der erhabenen Den¬
kungsart iſt, zu welcher er gebildet ſeyn muß.

Als den Gegenſtand der Hiſtorie im en¬
gern Sinne beſtimmten wir die Bildung eines
objectiven Organismus der Freyheit oder des
Staats. Es giebt eine Wiſſenſchaft deſſelben,
ſo nothwendig es eine Wiſſenſchaft der Natur
giebt. Seine Idee kann um ſo weniger aus
der Erfahrung genommen ſeyn, da dieſe hier
vielmehr ſelbſt erſt nach Ideen geſchaffen und
der Staat als Kunſtwerk erſcheinen ſoll.

Wenn die realen Wiſſenſchaften uͤberhaupt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0235" n="226"/>
und o&#x0364;ffentliches Leben vermo&#x0364;gen, muß dazu<lb/>
beytragen, den Hi&#x017F;toriker zu bilden.</p><lb/>
        <p>Die er&#x017F;ten Urbilder des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Styls<lb/>
&#x017F;ind das Epos in &#x017F;einer ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Ge¬<lb/>
&#x017F;talt und die Trago&#x0364;die; denn wenn die univer¬<lb/>
&#x017F;elle Ge&#x017F;chichte, deren Anfa&#x0364;nge, wie die Quel¬<lb/>
len des Nils, unerkennbar, die epi&#x017F;che Form<lb/>
und Fu&#x0364;lle liebt, will die be&#x017F;ondere dagegen<lb/>
mehr concentri&#x017F;ch um einen gemein&#x017F;chaftlichen<lb/>
Mittelpunct gebildet &#x017F;eyn; davon zu &#x017F;chweigen,<lb/>
daß fu&#x0364;r den Hi&#x017F;toriker die Trago&#x0364;die die wahre<lb/>
Quelle großer Ideen und der erhabenen Den¬<lb/>
kungsart i&#x017F;t, zu welcher er gebildet &#x017F;eyn muß.</p><lb/>
        <p>Als den Gegen&#x017F;tand der Hi&#x017F;torie im en¬<lb/>
gern Sinne be&#x017F;timmten wir die Bildung eines<lb/>
objectiven Organismus der Freyheit oder des<lb/>
Staats. Es giebt eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft de&#x017F;&#x017F;elben,<lb/>
&#x017F;o nothwendig es eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Natur<lb/>
giebt. Seine Idee kann um &#x017F;o weniger aus<lb/>
der Erfahrung genommen &#x017F;eyn, da die&#x017F;e hier<lb/>
vielmehr &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;t nach Ideen ge&#x017F;chaffen und<lb/>
der Staat als Kun&#x017F;twerk er&#x017F;cheinen &#x017F;oll.</p><lb/>
        <p>Wenn die realen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften u&#x0364;berhaupt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0235] und oͤffentliches Leben vermoͤgen, muß dazu beytragen, den Hiſtoriker zu bilden. Die erſten Urbilder des hiſtoriſchen Styls ſind das Epos in ſeiner urſpruͤnglichen Ge¬ ſtalt und die Tragoͤdie; denn wenn die univer¬ ſelle Geſchichte, deren Anfaͤnge, wie die Quel¬ len des Nils, unerkennbar, die epiſche Form und Fuͤlle liebt, will die beſondere dagegen mehr concentriſch um einen gemeinſchaftlichen Mittelpunct gebildet ſeyn; davon zu ſchweigen, daß fuͤr den Hiſtoriker die Tragoͤdie die wahre Quelle großer Ideen und der erhabenen Den¬ kungsart iſt, zu welcher er gebildet ſeyn muß. Als den Gegenſtand der Hiſtorie im en¬ gern Sinne beſtimmten wir die Bildung eines objectiven Organismus der Freyheit oder des Staats. Es giebt eine Wiſſenſchaft deſſelben, ſo nothwendig es eine Wiſſenſchaft der Natur giebt. Seine Idee kann um ſo weniger aus der Erfahrung genommen ſeyn, da dieſe hier vielmehr ſelbſt erſt nach Ideen geſchaffen und der Staat als Kunſtwerk erſcheinen ſoll. Wenn die realen Wiſſenſchaften uͤberhaupt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/235
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/235>, abgerufen am 01.05.2024.