zuletzt alles aus der ersten Synthesis mit Noth¬ wendigkeit entspringen muß, die Aufeinander¬ folge selbst aber nicht empirisch, sondern nur aus einer höhern Ordnung der Dinge begreif¬ lich seyn muß. Erst dann erhält die Geschichte ihre Vollendung für die Vernunft, wenn die empirischen Ursachen, indem sie den Verstand befriedigen, als Werkzeuge und Mittel der Er¬ scheinung einer höheren Nothwendigkeit ge¬ braucht werden. In solcher Darstellung kann die Geschichte die Wirkung des größten und erstaunenswürdigsten Drama nicht verfehlen, das nur in einem unendlichen Geiste gedichtet seyn kann.
Wir haben die Historie auf die gleiche Stufe mit der Kunst gesetzt. Aber, was diese darstellt, ist immer eine Identität der Noth¬ wendigkeit und Freyheit, und diese Erscheinung, vornehmlich in der Tragödie, ist der eigentliche Gegenstand unserer Bewunderung. Diese selbe Identität aber ist zugleich der Standpunct der Philosophie und selbst der Religion für die Ge¬ schichte, da diese in der Vorsehung nichts an¬
zuletzt alles aus der erſten Syntheſis mit Noth¬ wendigkeit entſpringen muß, die Aufeinander¬ folge ſelbſt aber nicht empiriſch, ſondern nur aus einer hoͤhern Ordnung der Dinge begreif¬ lich ſeyn muß. Erſt dann erhaͤlt die Geſchichte ihre Vollendung fuͤr die Vernunft, wenn die empiriſchen Urſachen, indem ſie den Verſtand befriedigen, als Werkzeuge und Mittel der Er¬ ſcheinung einer hoͤheren Nothwendigkeit ge¬ braucht werden. In ſolcher Darſtellung kann die Geſchichte die Wirkung des groͤßten und erſtaunenswuͤrdigſten Drama nicht verfehlen, das nur in einem unendlichen Geiſte gedichtet ſeyn kann.
Wir haben die Hiſtorie auf die gleiche Stufe mit der Kunſt geſetzt. Aber, was dieſe darſtellt, iſt immer eine Identitaͤt der Noth¬ wendigkeit und Freyheit, und dieſe Erſcheinung, vornehmlich in der Tragoͤdie, iſt der eigentliche Gegenſtand unſerer Bewunderung. Dieſe ſelbe Identitaͤt aber iſt zugleich der Standpunct der Philoſophie und ſelbſt der Religion fuͤr die Ge¬ ſchichte, da dieſe in der Vorſehung nichts an¬
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zuletzt alles aus der erſten Syntheſis mit Noth¬
wendigkeit entſpringen muß, die Aufeinander¬
folge ſelbſt aber nicht empiriſch, ſondern nur
aus einer hoͤhern Ordnung der Dinge begreif¬
lich ſeyn muß. Erſt dann erhaͤlt die Geſchichte
ihre Vollendung fuͤr die Vernunft, wenn die
empiriſchen Urſachen, indem ſie den Verſtand
befriedigen, als Werkzeuge und Mittel der Er¬
ſcheinung einer hoͤheren Nothwendigkeit ge¬
braucht werden. In ſolcher Darſtellung kann
die Geſchichte die Wirkung des groͤßten und
erſtaunenswuͤrdigſten Drama nicht verfehlen, das
nur in einem unendlichen Geiſte gedichtet ſeyn
kann.
Wir haben die Hiſtorie auf die gleiche
Stufe mit der Kunſt geſetzt. Aber, was dieſe
darſtellt, iſt immer eine Identitaͤt der Noth¬
wendigkeit und Freyheit, und dieſe Erſcheinung,
vornehmlich in der Tragoͤdie, iſt der eigentliche
Gegenſtand unſerer Bewunderung. Dieſe ſelbe
Identitaͤt aber iſt zugleich der Standpunct der
Philoſophie und ſelbſt der Religion fuͤr die Ge¬
ſchichte, da dieſe in der Vorſehung nichts an¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/231>, abgerufen am 25.11.2024.
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