Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

verändert durch die Bestimmung oder Potenz,
unter der es gesetzt ist. Könnte in beyden das
reine An-sich erblickt werden, so würden wir
dasselbe, was in der Geschichte ideal, in der
Natur real vorgebildet erkennen. Die Freyheit,
als Erscheinung, kann nichts erschaffen: es ist
Ein Universum, welches die zwiefache Form der
abgebildeten Welt jede für sich und in ihrer Art
ausdrückt. Die vollendete Welt der Geschichte
wäre demnach selbst eine ideale Natur, der
Staat, als der äußere Organismus einer in der
Freyheit selbst erreichten Harmonie der Nothwen¬
digkeit und der Freyheit. Die Geschichte, so
fern sie die Bildung dieses Vereins zum vor¬
züglichsten Gegenstand hat, wäre Geschichte im
engern Sinn des Wortes.

Die Frage, welche uns hier zunächst ent¬
gegenkommt, nämlich ob Historie Wissenschaft
seyn könne? scheint wegen ihrer Beantwortung
keinen Zweifel zuzulassen. Wenn nämlich
Historie, als solche, und von dieser ist die
Rede, der letzten entgegengesetzt ist, wie im
Vorhergehenden allgemein angenommen wurde,

veraͤndert durch die Beſtimmung oder Potenz,
unter der es geſetzt iſt. Koͤnnte in beyden das
reine An-ſich erblickt werden, ſo wuͤrden wir
daſſelbe, was in der Geſchichte ideal, in der
Natur real vorgebildet erkennen. Die Freyheit,
als Erſcheinung, kann nichts erſchaffen: es iſt
Ein Univerſum, welches die zwiefache Form der
abgebildeten Welt jede fuͤr ſich und in ihrer Art
ausdruͤckt. Die vollendete Welt der Geſchichte
waͤre demnach ſelbſt eine ideale Natur, der
Staat, als der aͤußere Organismus einer in der
Freyheit ſelbſt erreichten Harmonie der Nothwen¬
digkeit und der Freyheit. Die Geſchichte, ſo
fern ſie die Bildung dieſes Vereins zum vor¬
zuͤglichſten Gegenſtand hat, waͤre Geſchichte im
engern Sinn des Wortes.

Die Frage, welche uns hier zunaͤchſt ent¬
gegenkommt, naͤmlich ob Hiſtorie Wiſſenſchaft
ſeyn koͤnne? ſcheint wegen ihrer Beantwortung
keinen Zweifel zuzulaſſen. Wenn naͤmlich
Hiſtorie, als ſolche, und von dieſer iſt die
Rede, der letzten entgegengeſetzt iſt, wie im
Vorhergehenden allgemein angenommen wurde,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="214"/>
vera&#x0364;ndert durch die Be&#x017F;timmung oder Potenz,<lb/>
unter der es ge&#x017F;etzt i&#x017F;t. Ko&#x0364;nnte in beyden das<lb/>
reine An-&#x017F;ich erblickt werden, &#x017F;o wu&#x0364;rden wir<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe, was in der Ge&#x017F;chichte ideal, in der<lb/>
Natur real vorgebildet erkennen. Die Freyheit,<lb/>
als Er&#x017F;cheinung, kann nichts er&#x017F;chaffen: es i&#x017F;t<lb/>
Ein Univer&#x017F;um, welches die zwiefache Form der<lb/>
abgebildeten Welt jede fu&#x0364;r &#x017F;ich und in ihrer Art<lb/>
ausdru&#x0364;ckt. Die vollendete Welt der Ge&#x017F;chichte<lb/>
wa&#x0364;re demnach &#x017F;elb&#x017F;t eine ideale Natur, der<lb/>
Staat, als der a&#x0364;ußere Organismus einer in der<lb/>
Freyheit &#x017F;elb&#x017F;t erreichten Harmonie der Nothwen¬<lb/>
digkeit und der Freyheit. Die Ge&#x017F;chichte, &#x017F;o<lb/>
fern &#x017F;ie die Bildung die&#x017F;es Vereins zum vor¬<lb/>
zu&#x0364;glich&#x017F;ten Gegen&#x017F;tand hat, wa&#x0364;re Ge&#x017F;chichte im<lb/>
engern Sinn des Wortes.</p><lb/>
        <p>Die Frage, welche uns hier zuna&#x0364;ch&#x017F;t ent¬<lb/>
gegenkommt, na&#x0364;mlich ob Hi&#x017F;torie Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nne? &#x017F;cheint wegen ihrer Beantwortung<lb/>
keinen Zweifel zuzula&#x017F;&#x017F;en. Wenn na&#x0364;mlich<lb/>
Hi&#x017F;torie, als &#x017F;olche, und von die&#x017F;er i&#x017F;t die<lb/>
Rede, der letzten entgegenge&#x017F;etzt i&#x017F;t, wie im<lb/>
Vorhergehenden allgemein angenommen wurde,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0223] veraͤndert durch die Beſtimmung oder Potenz, unter der es geſetzt iſt. Koͤnnte in beyden das reine An-ſich erblickt werden, ſo wuͤrden wir daſſelbe, was in der Geſchichte ideal, in der Natur real vorgebildet erkennen. Die Freyheit, als Erſcheinung, kann nichts erſchaffen: es iſt Ein Univerſum, welches die zwiefache Form der abgebildeten Welt jede fuͤr ſich und in ihrer Art ausdruͤckt. Die vollendete Welt der Geſchichte waͤre demnach ſelbſt eine ideale Natur, der Staat, als der aͤußere Organismus einer in der Freyheit ſelbſt erreichten Harmonie der Nothwen¬ digkeit und der Freyheit. Die Geſchichte, ſo fern ſie die Bildung dieſes Vereins zum vor¬ zuͤglichſten Gegenſtand hat, waͤre Geſchichte im engern Sinn des Wortes. Die Frage, welche uns hier zunaͤchſt ent¬ gegenkommt, naͤmlich ob Hiſtorie Wiſſenſchaft ſeyn koͤnne? ſcheint wegen ihrer Beantwortung keinen Zweifel zuzulaſſen. Wenn naͤmlich Hiſtorie, als ſolche, und von dieſer iſt die Rede, der letzten entgegengeſetzt iſt, wie im Vorhergehenden allgemein angenommen wurde,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/223
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/223>, abgerufen am 23.11.2024.