Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

läre Dogmatiken zu schreiben und sich mit der
Sylbenstecherey und Worterklärung zu beschäf¬
tigen, als das Christenthum und seine Leh¬
ren in universeller Beziehung zu fassen. Man
kann sich indessen nicht des Gedankens erweh¬
ren, welch ein Hinderniß der Vollendung die
sogenannten biblischen Bücher für dasselbe ge¬
wesen sind, die an ächt religiösem Gehalt
keine Vergleichung mit so vielen andern der
früheren und späteren Zeit, vornehmlich den
Indischen, auch nur von ferne aushalten.

Man hat dem Gedanken der Hierarchie,
dem Volk diese Bücher zu entziehen, eine
bloß politische Absicht untergelegt: er möchte
wohl den tiefern Grund haben, daß das Chri¬
stenthum als eine lebendige Religion, nicht
als eine Vergangenheit, sondern als eine ewi¬
ge Gegenwart fortdaure, wie auch die Wun¬
der in der Kirche nicht aufhörten, welche der
Protestantismus, auch darinn inconsequent, nur
als vor Zeiten geschehen zuläßt. Eigentlich
waren es diese Bücher, die als Urkunden,
deren bloß die Geschichtforschung, nicht aber

laͤre Dogmatiken zu ſchreiben und ſich mit der
Sylbenſtecherey und Worterklaͤrung zu beſchaͤf¬
tigen, als das Chriſtenthum und ſeine Leh¬
ren in univerſeller Beziehung zu faſſen. Man
kann ſich indeſſen nicht des Gedankens erweh¬
ren, welch ein Hinderniß der Vollendung die
ſogenannten bibliſchen Buͤcher fuͤr daſſelbe ge¬
weſen ſind, die an aͤcht religioͤſem Gehalt
keine Vergleichung mit ſo vielen andern der
fruͤheren und ſpaͤteren Zeit, vornehmlich den
Indiſchen, auch nur von ferne aushalten.

Man hat dem Gedanken der Hierarchie,
dem Volk dieſe Buͤcher zu entziehen, eine
bloß politiſche Abſicht untergelegt: er moͤchte
wohl den tiefern Grund haben, daß das Chri¬
ſtenthum als eine lebendige Religion, nicht
als eine Vergangenheit, ſondern als eine ewi¬
ge Gegenwart fortdaure, wie auch die Wun¬
der in der Kirche nicht aufhoͤrten, welche der
Proteſtantismus, auch darinn inconſequent, nur
als vor Zeiten geſchehen zulaͤßt. Eigentlich
waren es dieſe Buͤcher, die als Urkunden,
deren bloß die Geſchichtforſchung, nicht aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0208" n="199"/>
la&#x0364;re Dogmatiken zu &#x017F;chreiben und &#x017F;ich mit der<lb/>
Sylben&#x017F;techerey und Worterkla&#x0364;rung zu be&#x017F;cha&#x0364;<lb/>
tigen, als das Chri&#x017F;tenthum und &#x017F;eine Leh¬<lb/>
ren in univer&#x017F;eller Beziehung zu fa&#x017F;&#x017F;en. Man<lb/>
kann &#x017F;ich inde&#x017F;&#x017F;en nicht des Gedankens erweh¬<lb/>
ren, welch ein Hinderniß der Vollendung die<lb/>
&#x017F;ogenannten bibli&#x017F;chen Bu&#x0364;cher fu&#x0364;r da&#x017F;&#x017F;elbe ge¬<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ind, die an a&#x0364;cht religio&#x0364;&#x017F;em Gehalt<lb/>
keine Vergleichung mit &#x017F;o vielen andern der<lb/>
fru&#x0364;heren und &#x017F;pa&#x0364;teren Zeit, vornehmlich den<lb/>
Indi&#x017F;chen, auch nur von ferne aushalten.</p><lb/>
        <p>Man hat dem Gedanken der Hierarchie,<lb/>
dem Volk die&#x017F;e Bu&#x0364;cher zu entziehen, eine<lb/>
bloß politi&#x017F;che Ab&#x017F;icht untergelegt: er mo&#x0364;chte<lb/>
wohl den tiefern Grund haben, daß das Chri¬<lb/>
&#x017F;tenthum als eine lebendige Religion, nicht<lb/>
als eine Vergangenheit, &#x017F;ondern als eine ewi¬<lb/>
ge Gegenwart fortdaure, wie auch die Wun¬<lb/>
der in der Kirche nicht aufho&#x0364;rten, welche der<lb/>
Prote&#x017F;tantismus, auch darinn incon&#x017F;equent, nur<lb/>
als vor Zeiten ge&#x017F;chehen zula&#x0364;ßt. Eigentlich<lb/>
waren es die&#x017F;e Bu&#x0364;cher, die als Urkunden,<lb/>
deren bloß die Ge&#x017F;chichtfor&#x017F;chung, nicht aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0208] laͤre Dogmatiken zu ſchreiben und ſich mit der Sylbenſtecherey und Worterklaͤrung zu beſchaͤf¬ tigen, als das Chriſtenthum und ſeine Leh¬ ren in univerſeller Beziehung zu faſſen. Man kann ſich indeſſen nicht des Gedankens erweh¬ ren, welch ein Hinderniß der Vollendung die ſogenannten bibliſchen Buͤcher fuͤr daſſelbe ge¬ weſen ſind, die an aͤcht religioͤſem Gehalt keine Vergleichung mit ſo vielen andern der fruͤheren und ſpaͤteren Zeit, vornehmlich den Indiſchen, auch nur von ferne aushalten. Man hat dem Gedanken der Hierarchie, dem Volk dieſe Buͤcher zu entziehen, eine bloß politiſche Abſicht untergelegt: er moͤchte wohl den tiefern Grund haben, daß das Chri¬ ſtenthum als eine lebendige Religion, nicht als eine Vergangenheit, ſondern als eine ewi¬ ge Gegenwart fortdaure, wie auch die Wun¬ der in der Kirche nicht aufhoͤrten, welche der Proteſtantismus, auch darinn inconſequent, nur als vor Zeiten geſchehen zulaͤßt. Eigentlich waren es dieſe Buͤcher, die als Urkunden, deren bloß die Geſchichtforſchung, nicht aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/208
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/208>, abgerufen am 02.05.2024.