Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

sen sind. Schon in dem Geiste des Heiden¬
bekehrers Paulus ist das Christenthum etwas
anderes geworden, als es in dem des ersten
Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit
sollen wir stehen bleiben, die nur willkühr¬
lich angenommen werden kann, sondern seine
ganze Geschichte und die Welt, die es ge¬
schaffen, vor Augen haben.

Zu den Operationen der neueren Aufklä¬
rerey, welche in Bezug auf das Christen¬
thum eher die Ausklärerey heißen könnte, ge¬
hört allerdings auch das Vorgeben, es, wie
man sagt, auf seinen ursprünglichen Sinn,
seine erste Einfachheit zurückzuführen, in wel¬
cher Gestalt sie es auch das Urchristenthum nen¬
nen. Man sollte denken, die christlichen Re¬
ligionslehrer müßten es den späteren Zeiten
Dank wissen, daß sie aus dem dürftigen In¬
halt der ersten Religionsbücher so viel specu¬
lativen Stoff gezogen und diesen zu einem
System ausgebildet haben. Bequemer mag
es freylich seyn, von dem scholastischen Wust
der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬

ſen ſind. Schon in dem Geiſte des Heiden¬
bekehrers Paulus iſt das Chriſtenthum etwas
anderes geworden, als es in dem des erſten
Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit
ſollen wir ſtehen bleiben, die nur willkuͤhr¬
lich angenommen werden kann, ſondern ſeine
ganze Geſchichte und die Welt, die es ge¬
ſchaffen, vor Augen haben.

Zu den Operationen der neueren Aufklaͤ¬
rerey, welche in Bezug auf das Chriſten¬
thum eher die Ausklaͤrerey heißen koͤnnte, ge¬
hoͤrt allerdings auch das Vorgeben, es, wie
man ſagt, auf ſeinen urſpruͤnglichen Sinn,
ſeine erſte Einfachheit zuruͤckzufuͤhren, in wel¬
cher Geſtalt ſie es auch das Urchriſtenthum nen¬
nen. Man ſollte denken, die chriſtlichen Re¬
ligionslehrer muͤßten es den ſpaͤteren Zeiten
Dank wiſſen, daß ſie aus dem duͤrftigen In¬
halt der erſten Religionsbuͤcher ſo viel ſpecu¬
lativen Stoff gezogen und dieſen zu einem
Syſtem ausgebildet haben. Bequemer mag
es freylich ſeyn, von dem ſcholaſtiſchen Wuſt
der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0207" n="198"/>
&#x017F;en &#x017F;ind. Schon in dem Gei&#x017F;te des Heiden¬<lb/>
bekehrers Paulus i&#x017F;t das Chri&#x017F;tenthum etwas<lb/>
anderes geworden, als es in dem des er&#x017F;ten<lb/>
Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit<lb/>
&#x017F;ollen wir &#x017F;tehen bleiben, die nur willku&#x0364;hr¬<lb/>
lich angenommen werden kann, &#x017F;ondern &#x017F;eine<lb/>
ganze Ge&#x017F;chichte und die Welt, die es ge¬<lb/>
&#x017F;chaffen, vor Augen haben.</p><lb/>
        <p>Zu den Operationen der neueren Aufkla&#x0364;¬<lb/>
rerey, welche in Bezug auf das Chri&#x017F;ten¬<lb/>
thum eher die Auskla&#x0364;rerey heißen ko&#x0364;nnte, ge¬<lb/>
ho&#x0364;rt allerdings auch das Vorgeben, es, wie<lb/>
man &#x017F;agt, auf &#x017F;einen ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Sinn,<lb/>
&#x017F;eine er&#x017F;te Einfachheit zuru&#x0364;ckzufu&#x0364;hren, in wel¬<lb/>
cher Ge&#x017F;talt &#x017F;ie es auch das Urchri&#x017F;tenthum nen¬<lb/>
nen. Man &#x017F;ollte denken, die chri&#x017F;tlichen Re¬<lb/>
ligionslehrer mu&#x0364;ßten es den &#x017F;pa&#x0364;teren Zeiten<lb/>
Dank wi&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie aus dem du&#x0364;rftigen In¬<lb/>
halt der er&#x017F;ten Religionsbu&#x0364;cher &#x017F;o viel &#x017F;pecu¬<lb/>
lativen Stoff gezogen und die&#x017F;en zu einem<lb/>
Sy&#x017F;tem ausgebildet haben. Bequemer mag<lb/>
es freylich &#x017F;eyn, von dem &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;chen Wu&#x017F;t<lb/>
der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0207] ſen ſind. Schon in dem Geiſte des Heiden¬ bekehrers Paulus iſt das Chriſtenthum etwas anderes geworden, als es in dem des erſten Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit ſollen wir ſtehen bleiben, die nur willkuͤhr¬ lich angenommen werden kann, ſondern ſeine ganze Geſchichte und die Welt, die es ge¬ ſchaffen, vor Augen haben. Zu den Operationen der neueren Aufklaͤ¬ rerey, welche in Bezug auf das Chriſten¬ thum eher die Ausklaͤrerey heißen koͤnnte, ge¬ hoͤrt allerdings auch das Vorgeben, es, wie man ſagt, auf ſeinen urſpruͤnglichen Sinn, ſeine erſte Einfachheit zuruͤckzufuͤhren, in wel¬ cher Geſtalt ſie es auch das Urchriſtenthum nen¬ nen. Man ſollte denken, die chriſtlichen Re¬ ligionslehrer muͤßten es den ſpaͤteren Zeiten Dank wiſſen, daß ſie aus dem duͤrftigen In¬ halt der erſten Religionsbuͤcher ſo viel ſpecu¬ lativen Stoff gezogen und dieſen zu einem Syſtem ausgebildet haben. Bequemer mag es freylich ſeyn, von dem ſcholaſtiſchen Wuſt der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/207
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/207>, abgerufen am 02.05.2024.